Pop ist doof! Und Leichenaufbahren dööfer!

■ Die Bands „Die Braut haut in's Auge“ und „Jacqueline de Luxe“ zeigten im Tower, wie wild frau in der Gegenwart ankommen kann, ohne dabei peinlich zu wirken

Wenn ich mal ein Buch darüber schreibe, wie ich bekannter und beliebter Kultur-Journalist werde, so werden das erste Kapitel und einige der folgenden vom Problem mit deutschsprachigen Lokalbands handeln. Ich weiß, was Sie jetzt denken: Wieder einer, der nirgends auch nur ein einziges gutes Haar an denen lassen kann, die sich doch bemühen, verständlich in der eigenen Sprache anzutreten und den staatstragenden „Scorpions“ in diesen schweren Zeiten zu begegnen. „Die Braut haut in's Auge“ ist über jeden Zweifel erhaben, und von ihrer ersten Doppel-Single (mit den tollen Anziehpuppen zum ausschneiden) bis zum Album „Pop ist tot“ hat sich daran auch nicht viel geändert.

Vor der „Braut“ durften aber beim Konzert am Dienstag abend im Tower „Jacquline de Luxe“ aus Oldenburg auf die Bühne, und sie wollten diese auch so schnell nicht wieder verlassen. Etwas zaghaft und entschieden zu langsam gespielt, ließ das Quartett allerhand Ansätze erklingen, die musikalisch somit vorhanden, aber nicht wirklich ausgeführt wurden. Nichtsdes-totrotz ging die Band enthusiastisch zur Sache. Die Musikerinnen bezichtigten sich gegenseitig des musikalischen Unvermögens und machten auch sonst alles richtig, um das Publikum bei Laune zu halten. Zwar hatte die Sängerin den einen oder anderen Text zu Hause vergessen, aber „Jacquline de Luxe“ wurden trotzdem zunehmend souveräner und schlossen mit ihrem Hit „Ich bin in den Bassisten von ,Tocotronic' verliebt“.

Unter Applaus wurden lautstark Zugaben gefordert und gewährt – bei Konzerten inzwischen fast schon eine Ausnahme, wenn nicht gerade mehr als 40 DM Eintritt genommen wird und Zugaben zum Programm gehören.

Die „Braut“ würdigte den Support mit ein paar Worten über „Hans-A-Plast“ und schöpfte sofort aus dem Vollen, vier Frauen, die gern viel Bier trinken, aber immer noch „Junge“ und „Mädchen“ sagen. Munter kokettieren sie mit allem und jedem und verhehlen nicht ihre große Liebe zu schönen Rock-Ritualen wie dem guten, alten „Rücken an Rücken rocken“. „Die Braut haut in's Auge“ hat mehr vom alten Lindenberg in seinen besten Tagen als irgendwas von ihren tranigen Kollegen, die in Hamburg alle Kneipen säumen.

„Die Braut“ tritt Ärsche, wo andere nach dem roten Faden suchen und eine Art Küchentisch-Realismus propagieren. Sie sind eh charmanter als die anderen und seit neuestem übrigens nicht mehr zu 100 Prozent weiblich. Für die aktuelle Tour haben sie sich Max von „Bandit Jazz“ als Gitarristen angelacht, erstens weil er der Beste ist, was sich bis nach Hamburg rumgesprochen hat, und zweitens rockt bei den Damen auch das Auge mit.

Jedenfalls produzierten Bräute und Banditen quasi Rücken an Rücken im gleichen Studio und schon ward Max shanghait. (Apropos „Bandit Jazz“: Die gehen 1999 mit den doofen „Such a Surge“ auf große Monster-Tour. Kunstmaler Ole Kaleschke sitzt bereits am Artwork für die Platt, und auch dessen Band, die famosen „Buttmaul“, haben jetzt einen echten Plattenvertrag am Start.)

„Die Braut“ schloß ihr Set mit „Pop ist tot“, einem neuen Song mit echtem „Rote Dosen“-Chor und „Violent Femmes“-Cover, so daß die älteren Gäste solche Sachen wie „hach, ja“ und „früher, weißte noch“ von sich gaben.

Bei „Die Braut haut in's Auge“, Deutschlands bester Rockband, war es wieder ein Vergnügen zuzusehen wie sie jede Vorstellung von einer künstlich produzierten Popband im Staub zertreten und sich dabei wild gebären, ohne peinlich zu sein.

Alles, was sie tun, stammt aus dem Leben in der Gegenwart. Und in einer Kultur, die sich primär mit dem wiederholten Aufbahren beliebter Leichen von Mozart und Brecht zu Elvis und Jesus Christus beschäftigt, kann eine Band kaum besseres tun. Tommy Blank