Poker um das schwarze Gold

Aserbaidschans Hauptstadt Baku boomt. Der Grund: Öl im Kaspischen Meer. Auf diesen Stoff sind alle Groß- und Regionalmächte scharf. Der Kampf um die Vormachtstellung im Kaukasus ist in voller Fahrt. Nun soll der Vertrag für eine neue gigantische Pipeline unterschrieben werden. Ein Blick in die Trickkiste der geopolitischen Machtstrategen  ■ Von Klaus-Helge Donath

Atatürks Porträt teilt die winzige Werkstatt in zwei gleiche Hälften. Flankiert wird der Gründervater der Türkei von zwei Fußballteams: der Mannschaft aus Baku und der aus dem türkischen Trapezunt. Versteckt in der Ecke ruft sich Aserbaidschans Präsident Hejdar Alijew optisch in Erinnerung. Und mittendrin: der stattliche Schuhmacher an einer handbetriebenen Ledernähmaschine.

Lange wird er in seinem Geschäft in Bakus verwinkelter Altstadt nicht mehr Schuhe besohlen können. Denn in unmittelbarer Nachbarschaft haben sich Banken, Investmentfonds und Vertretungen der weltweit führenden Ölmultis niedergelassen – BP, Amoco, Agip, Chevron, Elf- Aquitaine, Mobil, Exxon und Unocal.

Die aserbaidschanische Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer boomt. Längst ist die einstmals sowjetische Tristesse südländischer Lebensfreude gewichen. Grund für den Wandel sind die Öl- und Gasressourcen im Kaspischen Meer. Erdölkonzerne aus zwölf Ländern haben sich zu zehn Konsortien zusammengeschlossen, um die Bodenschätze auszubeuten. Nun steht ein Vertrag zwischen Aserbaidschan, der Türkei und den Ölkonsortien zur Unterschrift an, der den Bau einer gigantischen Pipeline besiegeln soll.

Türkischen und amerikanischen Konzernen geht es allerdings um mehr als Profit. Von ihren Regierungen als entwicklungspolitische Vorhut entsandt, sollen die Unternehmen dazu beitragen, die über hundert Jahre von Rußland beherrschte Region der eigenen Einflußsphäre zuführen.

Seit der 75jährige Hejdar Alijew 1993 als neuer Präsident die Macht in Aserbaidschan übernahm, hat sich nicht nur das Antlitz der Hauptstadt Baku verändert. Auch die Aufteilung der Machtsphären im Transkaukasus ist seither in Bewegung geraten.

Am geostrategischen Poker beteiligen sich neben den USA die alten Regionalmächte. Rußland kämpft verzweifelt gegen den rasanten Bedeutungsverlust an. Die Türkei träumt davon, an der Südflanke Rußlands ein bis nach Mittelasien reichendes Imperium turksprachiger Völker aufzubauen. Der Iran versucht durch engere Beziehungen zu Moskau und vorsichtigen Revolutionsexport die internationale Isolation zu kompensieren. Die Spielregeln indes diktieren die USA.

Nach vorsichtigen Schätzungen verfügt Aserbaidschan über 2,5 Milliarden Tonnen Ölreserven, von denen bisher jährlich nur neun Millionen Tonnen gefördert werden. Die zehn in Baku aktiven Ölkonsortien planen, die Produktion auf vierzig Millionen Tonnen per anno hochzuschrauben.

Fast über Nacht haben die USA Rußland aus der Vormachtstellung im „nahen Ausland“ – wie der Kreml die ehemaligen sowjetischen Republiken nennt – verdrängt. Dennoch verstehen die Russen den Kaukasus nach wie vor als ihren angestammten Herrschaftsraum. Noch Anfang der neunziger Jahre schien es, als sei Amerika bereit, sich mit Rußlands Ansprüchen zu arrangieren. Als etwa Kasachstan 1994 die USA darauf drängte, eine Pipeline in die Türkei zu bauen, wurde das Ansinnen abschlägig beschieden.

Doch zeigte sich alsbald, daß Moskaus Großmachtanspruch nicht aufrechtzuerhalten war. Das entstandene Machtvakuum machten sich die USA zunutze. Washington begründet seine wachsende Einmischung mit einer Formel, die Zbigniew Brzezinski – der ehemalige Sicherheitsberater Jimmy Carters und heutige Berater amerikanischer Ölfirmen – aufstellte. Was den ehemaligen Sowjetrepubliken helfe, so Brzezinski, nütze auch dem heutigen Rußland. „Wir sorgen für geopolitischen Pluralismus und fördern damit das Entstehen eines modernen, demokratischen und postimperialen Rußland.“

„Der Kreml hat die Auseinandersetzung im Transkaukasus schon verloren“, meint Tofik Abbasow, Chefredakteur der Zeitschrift Caspian in Baku. „Ungeachtet zahlreicher Störmanöver wird Moskau nie mehr als Statthalter in die Region zurückkehren.“ Eine eindrückliche Bestätigung dieser Auffassung liefert die Handelsstatistik Georgiens. Entfielen 1993 noch 44 Prozent des Warenaustauschs auf Rußland und nur elf Prozent auf die Türkei, hat sich das Verhältnis inzwischen umgekehrt.

Eine gewichtige Rolle im geopolitischen Kräftemessen spielt Aserbaidschans Präsident Alijew. Es sei ein „ausgesprochenes Vergnügen und Privileg, Alijew empfangen zu dürfen“, säuselte Ölkonzernberater Brzezinski anläßlich seines Besuchs in Washington. Über die zweifelhaften innenpolitischen Praktiken des Semipotentaten wird angesichts der aussichtsreichen Geschäftsbeziehungen geflissentlich hinweggesehen.

Außenpolitisch legte Präsident Alijew bemerkenswertes Geschick an den Tag. 1993 löste er Abulfas Eltschibej als Präsidenten ab, der einem Putsch zum Opfer gefallen war. Die Drahtzieher wurden in Moskau vermutet. Allzu offen hatte Eltschibej Kontakt zu Ankara gesucht und dem Kreml die kalte Schulter gezeigt. Alijew hingegen gab den Russen deutlich den Vorzug und annullierte sogar Verträge mit westlichen Unternehmen. Inzwischen beteiligen sich russische Firmen an vier der zehn Konsortien.

„Wir wollen möglichst der ganzen Welt Appetit auf das schwarze Gold machen“, beschreibt ein hoher Beamter in Baku Aserbaidschans Ziele. „Je mehr Staaten Interesse zeigen, desto sicherer ist unsere staatliche Unabhängigkeit.“ Dieses Kalkül ging auf. Alijew führte Aserbaidschan zur Freude der Russen auch zurück in die GUS. In der entscheidenden Frage gab der Fuchs Alijew jedoch nicht nach: Aserbaidschan duldet als einziger der drei transkaukasischen Staaten keine Stützpunkte der einstigen Kolonialmacht.

Selbst ohne äußere Intervention birgt die kaspische Region ein enormes Konfliktpotential. So ist das Verhältnis zwischen Iran und Aserbaidschan aus historischen Gründen von gegenseitigem Mißtrauen geprägt. Präsident Alijew unterdrückt die nationalistisch nach Expansion strebende Opposition. „Sollte das scheitern“, prophezeit ein Diplomat in Baku, „könnte daraus einer der größten Konflikte des 21. Jahrhunderts werden.“

Aserbaidschan wiederum mißfallen Teherans Versuche, die iranische Revolution zu exportieren. Millionenbeträge, heißt es, seien für fundamentalistische Propaganda in Aserbaidschan ausgegeben worden. Als bedrohlich für Alijews Regime werden Missionsversuche radikaler Muslime in der aserbaidschanischen Landbevölkerung angesehen, die vom Ölboom nicht profitiert haben. Aserbaidschanische Intellektuelle glauben allerdings, Industrialisierung und Säkularisierung zur Sowjetzeit hätten die Bevölkerung gegen islamische Fundamentalismen immunisiert.

Die internationale Isolation des Iran, gestehen selbst Ministerielle hinter vorgehaltener Hand, schade der Region und habe den Pipelinebau behindert. Bisher führt die einzige nutzbare Trasse von Baku über den Schwarzmeerhafen Noworossisk und passiert dabei ethnische Krisengebiete in Dagestan und Tschetschenien.

Deshalb beschloß das älteste internationale Ölkonsortium in Baku, der AIOC, das Leitungssystem nach Georgien zu erneuern. Bis Ende 1998 sollen die Arbeiten abgeschlossen und in Supsa am Schwarzen Meer ein Terminal errichtet werden. Diese Leitung würde aber nur das gegenwärtige Fördervolumen verkraften.

Im neuen Jahrtausend müßte eine zweite Pipeline parallel durch Georgien betrieben werden. Sie hätte den Vorteil, daß auch kasachisches Öl und turkmenisches Gas eingespeist werden könnten. Von dort würde die Pipeline zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führen. „Mit 2,9 Milliarden US Dollar ist es die teuerste Variante“, meint Pipelinechef Brannigan vom AIOC.

An Konflikten mangelt es auch entlang dieser Route nicht. In Aserbaidschan verläuft die Trasse wenige Kilometer nördlich von Berg-Karabach, in Georgien streift sie das kompakte Siedlungsgebiet der armenischen Minderheit, deren radikale Vertreter einen Anschluß ans Mutterland verlangen. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich eine Militärbasis der als Garantiemacht Armeniens auftretenden Russen. In der Türkei durchquert sie kurdisches Gebiet.

Die USA gaben ihrer Schutzmacht am Bosporus den Zuschlag, um die innenpolitisch schwankende Türkei bei der Stange zu halten.

Unterdessen atmet das von inneren Wirren und Sezessionskriegen seit 1991 arg gebeutelte Georgien allmählich auf. „Georgien ist auf dem besten Wege, sich dank der engen Kooperation mit Baku und der wachsenden Rolle als Drehscheibe zwischen Ost und West wirtschaftlich und politisch zu festigen“, meint Nicholas Gwasawa von der georgischen Ölgesellschaft GIOC. In seinen Überlegungen spielt das Verkehrsprojekt „Traseca“ eine herausragende Rolle.

Der Transportweg Europa-Kaukasus-Asien könnte eines Tages die Rolle der Seidenstraße übernehmen, die einst Europa mit China und Japan verband.

Das Unternehmen stößt auch in Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und Kirgistan auf lebhaften Zuspruch. Erst im Januar haben sich deren Präsidenten getroffen, um Verkehrswege zu erörtern, die Rußland umgehen. Den Stein endgültig ins Rollen brachte der georgische Präsident Eduard Schewardnadse, der einen zoll- und verkehrspolitischen Zusammenschluß der Ukraine, Aserbaidschans und Moldawiens anregte. Rußland würde damit an der Südflanke umgangen.

Harsche Reaktionen aus Moskau ließen nicht auf sich warten. Gerade Georgien ist wegen der sezessionistischen Tendenzen in Südossetien und Abchasien leicht unter Druck zu setzen. Beide Regionen wünschen einen Anschluß an Rußland. 1993 endete ein Krieg in Abchasien mit einer Niederlage Georgiens. Seither kontrollieren russische „Friedenstruppen“ in Abchasien die Grenze zu Georgien.

Rußland ist nicht bereit, den Abchasienkonflikt als potentielles Machtinstrument gegenüber Georgien aufzugeben. Zeige sich Tiflis außenplitisch unbotmäßig, zürnte etwa der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses in der Duma, Wladimir Lukin, „wird Rußland Abchasien nicht an Georgien zurückgeben“.

Denn Rußland hat den Kampf um die ehemaligen Einflußgebiete noch nicht aufgegeben. Eine Regelung des Abchasienkonfliktes aber würde die Niederlage mit Brief und Siegel dokumentieren. Daß damit durchaus auch Zukunftsperspektiven verbunden wären, sieht Moskau derzeit noch nicht ein.

Klaus-Helge Donath, 41, ist seit 1990 Rußlandkorrespondent der taz.