„Tierversuche sind unverzichtbar“

■ Kölner Professor sieht keine Alternative zu Tierexperimenten / Er fordert aber weitaus kritischere Zulassungskriterien als in der Vergangenheit / Grundsatz: „Tiere dürfen nicht leiden.“

Der Neurobiologe Andreas Kreiter hat in Bremen für Schlagzeilen gesorgt, weil er an der Universität Bremen künftig Versuche an Affen durchführt. Dabei werden Makaken Elektroden ins Hirn verpflanzt, um anschließend zu erforschen, welche Areale in welchem Unfang bei visuellen Reizen stimuliert werden. Professor Volker Sturm beschäftigt sich an der Universitätsklinik Köln mit Hirnoperationen, um unter anderem die Leiden von Parkinson-Patienten zu mildern. Die Operationstechnik ist der von Kreiter sehr ähnlich. Darum sprach die taz mit Professor Sturm darüber, inwiefern er von Tierversuchen profitiert hat, ob Tierversuche tatsächlich notwendig sind oder ob er sich der Meinung von Tierschützern anschließt, daß es Alternativen zu den Versuchsreihen gibt (wir berichteten).

taz: Herr Professor Sturm, mit welcher Operationstechnik helfen sie Parkinson-Patienten?

Professor Volker Sturm: Vorab, die Krankheit entsteht durch den Untergang von Dopamin-produzierenden Zellen. Dadurch kommt es zu einer Enthemmung von Hirnarealen, die ungeregelt und überschießend arbeiten und ihrerseits das motorische System blockieren. Das ist die Ursache der Bewegungseinschränkung, unter der die Parkinson-Patienten am meisten leiden. Nun kann man operativ eingreifen. Dabei werden Elektroden computergesteuert und auf den Zehntelmillimeter genau in diese Hirnareale eingepflanzt. Die Elektroden werden mit einem Impulsgeber, der ähnlich wie ein Herzschrittmacher funktioniert und unter die Haut implantiert wird, verbunden. Damit werden die überschießenden Hirnzentren reguliert. Und in der Regel tritt eine dramatische Verbesserung des Zustands der Patienten ein.

Dabei ist es offensichtlich immens wichtig, sehr exakt zu wissen, welche Hirnzentren nicht funktionieren, und wo die liegen. Woraus resultiert dieses Wissen – aus Tierversuchen, die im Prinzip umgekehrt funktionieren?

Das ist tatsächlich in jahrzehntelanger Arbeit in Tierversuchen bestimmt worden. Anschließend wurde es bei Operationen an Patienten verifiziert, bei denen die medikamentöse Behandlung keinen Effekt mehr hatte. Bei denen nur noch solch eine OP in Frage kam.

Und das ist die Fortführung von Tierversuchen.

So ist das.

Sind Versuche unverzichtbar?

Davon bin ich überzeugt. Wir wissen noch viel zu wenig von der Funktion des Hirns. Und es gibt sehr viele Patienten, die unter chronischen Erkrankungen des Hirns schwer leiden, und denen man sehr effektiv helfen könnte, wenn zu der jeweiligen Thematik Tierversuche durchgeführt würden.

Tierschützer behaupten, daß Ergebnisse aus Tierversuchen nicht übertragen werden können auf den Menschen.

Man muß den Tierschützern in einer Beziehung recht geben. Es ist in den vergangenen Jahrzehnten mit Tierversuchen viel zu unkritisch umgegangen worden. Man hat Tierversuche fast beliebig durchführen können, ohne irgendwelche ethischen Komitees befragen zu müssen. Zudem wurden mit Sicherheit auch unwesentliche Versuchsserien durchgeführt, die zu keinen Ergebnissen geführt haben. Das ist die eine Seite. Ich bin sehr dafür, daß man sich sehr genau überlegt, wann man Tierversuche einsetzt und diese von einer entsprechenden Ethikkommission überprüfen läßt. Andererseits benötigen wir zur Bekämpfung dieser schweren Erkrankungen Tierversuche. Die Übertragbarkeit auf den Menschen ist ziemlich gut. Speziell wenn es sich um Störungen des Bewegungssystems handelt.

Und Resultate lassen sich von Tierversuchen übertragen auf das menschliche Gehirn?

Richtig. Wobei ich fest davon überzeugt bin, daß man sehr viele Experimente an Nagern machen kann und somit bei Experimenten an höher entwickelten Tieren, wie Hunden oder Affen, strenge ethische Maßstäbe anlegen sollte.

Inwiefern waren Tierversuche für Ihre OP-Technik wichtig?

Die waren die Grundlage. Es ist in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren ermittelt worden, daß bei der Parkinsonschen Erkrankung ganz besondere, tiefliegende Hirnareale enthemmt sind. Diese Areale konnten im Tierexperiment lokalisiert und dies in Operationen an Menschen dann anschließend bestätigt werden.

An der Universität Bremen wird jetzt der Neurobiologe Andreas Kreiter in Versuchen an Makaken erforschen, welche Hirnareale über visuelle Reize stimuliert werden. Ließe sich dies nicht einfacher an Nagern erforschen und ist dies nicht schon in unzähligen Versuchsreihen untersucht worden? Die einschlägige Fachliteratur läßt dies zumindest zu.

Ich kenne die Bremer Versuchsprotokolle nicht im einzelnen. Ich gehe aber davon aus, daß diese Versuche neue Erkenntnisse zum Ziel haben, sonst würden sie heutzutage überhaupt nicht mehr genehmigt.

Würden Sie es ausschließen, daß Versuchsreihen durchgeführt werden, um finanzielle Mittel für neue Laborräume bewilligt zu bekommen, um Habilitationen zu finanzieren oder einfach neue Stellen an Universitäten zu schaffen?

Ich glaube, das kann man inzwischen ausschließen. Die rechtlichen Bestimmungen sind mittlerweile so verschärft worden, daß dieses Vorgehen, das früher stattgefunden haben könnte – wenngleich mir persönlich da nichts bekannt ist – heute unmöglich ist. Dennoch: Ich bin da einer Meinung mit Ihnen. Das ist in der Vergangenheit mit Sicherheit geschehen.

Inwiefern haben Sie selbst an Tierversuchen teilgenommen?

Ich habe im Rahmen meiner Promotion und meiner Habilitation neurophysiologisch gearbeitet und dort auch an Ratten und an Katzen bestimmte Kerngebiete des limbischen Systems stimuliert und das Verhalten beobachtet. Dies war ganz entscheidend für meine weitere Ausrichtung und Spezialisierung in der Neurochirurgie. Ich denke, ganz ohne Tierexperimente geht es nicht. Zumal es nicht nur um die Erforschung zugrunde liegender pathogenetischer Mechanismen geht, sondern auch um Operationserfahrung sammeln zu können. Das kann man nicht am Patienten üben. Man muß das am Tier machen. Aber dies unter strengster und kritischster Indikationsstellung. Und die Tiere dürfen nicht gequält werden. Da gibt es für mich eine ganz klare Grenze. Wenn Tiere in irgendeiner Form Schmerzen erleiden, könnte ich diese Versuche nicht mehr mittragen.

Inwieweit halten Sie Kontakt zu Kollegen, die Tierversuche durchführen, um auf Versuchsreihen hinzuwirken, um die vielzitierten Synergie-Effekte herzustellen?

Ich arbeite zur Zeit an der Universität Köln mit an Entwicklungen im molekularbiologischen Bereich. Wir entwickeln außerdem eine bestimmte Lasertechnik zur computergesteuerten Operation an Gehirntumoren. Dabei arbeite ich mit Zentren, die Tierversuche durchführen, eng zusammen. Das ist nötig. Aber diese Experimente werden unter Vollnarkose durchgeführt. Eins muß aber als Grundsatz bestehen bleiben: Jedes Experiment, das auch an Zellkulturen durchführbar ist, darf nicht an Tieren vorgenommen werden.

Fragen: Jens Tittmann