Den Lücken in der Zeit folgen

■ Die Videokünstlerin Marie Jose Burki häuft Dauer durch serielle Handlung an - zu sehen im Kunstverein Bonn

Da sitzt er, der kleine Hund, ein unscheinbarer Köter. Unverdrossen schaut er in die Kamera, als ob es dort etwas zu entdecken gäbe. Marie José Burki, 1961 geborene Schweizerin, hat ihn auf Videoband aufgenommen und eine Sequenz zu einem sich unendlich wiederholenden Loop aneinandergesetzt.

Während man das Hündchen dort brav auf dem Zimmerboden sitzen sieht, hört man die Stimme eines Mannes, der in ruhigem Ton die Bezeichnungen von Rassehunden heruntersagt – einer Litanei nicht unähnlich: „L'irish wolfhound, le jämthund, le kai, le deutscher kleinspitz altfarben: braun oder schwarz, le kishu, le labrador retriever.“ Und so weiter. Mit seinen traurigen, dunklen Augen blickt der Hund, der nun gar nichts von Rasse, Zucht und Stammbaum hat, weiter geradeaus, die Ohren hängen schlapp herab.

Wie in diesem, „Le Chiens“ betitelten Film paßt in Burkis Videoarbeiten vieles nicht zusammen. Immer werden Abgründe deutlich zwischen dem, was man hört, und dem, was man sieht. Es entstehen Lücken im Zusammenhang eines sinnlichen Ereignisses, die manchmal auch einfach vergessen werden. Das ist zum Beispiel der Fall in „Trio“: Einen Violinisten, einen Klarinettisten und einen Cellisten hat Burki einzeln gefilmt, während sie gemeinsam ein Trio spielen. Die drei Filme, in denen die Gesichter der Musiker zu sehen sind, werden nebeneinander projiziert. Das Musikstück ist acht Minuten lang, so lange dauert die gezeigte und wieder hintereinandergeschnittene Sequenz.

Man betrachtet die Mimik der drei Herren, sieht ihren konzentrierten Blick auf das Notenblatt, das aufs Holz gedrückte Kinn des Geigers und die über die Saiten rutschenden Finger des Cellospielers. Man sieht, daß sie zusammen spielen, hören tut man es nicht. Denn es herrscht Stille im Raum, keine Musik, kein Ton, nichts.

Die akustische Lücke, die sich hier auftut, wird mit visuellem Material gefüllt. Die Möglichkeit der genauen Beobachtung der Musiker, die durch die Beschränkung des Ausschnitts auf das Gesicht und die getrennte Projektion unterstützt wird, führt zu einer Dichte an Eindrücken, von der man fast überwältigt wird. Beim Verfolgen der Spannung des sichtbaren Zusammenspiels der Musiker, ihrer heftigen Bewegungen und des darauffolgenden ruhigen Agierens wird das Fehlen der gespielten Musik nicht als Mangel deutlich. Man ist beinahe froh, daß sie beim Betrachten der Videobilder nicht stört.

Stille herrscht auch bei der Videoprojektion „Exposure: Dawn I–III“. Getrennt voneinander gezeigt sitzen zwei Prostituierte in Fenstern und bieten sich an. Die Geräuschlosigkeit unterstützt hier allerdings die enervierende Langeweile. Man sieht die beiden Frauen still sitzen, Zigaretten rauchen, Kleidung zurechtzupfen, trinken. Die Arbeit verliert ihren Reiz, weil man als Betrachter auf eine voyeuristische Position zurückgeworfen wird, die letztendlich kaum mehr an Gewinn bringt als die Erkenntnis, daß die Arbeit von Prostituierten in Antwerpen hauptsächlich aus Wartezeit besteht.

Schade, daß dagegen Burkis Arbeit „Interieur II–IV“ in Bonn nicht gezeigt wird. Damit bleibt den Besuchern ein besonders eindringliches Erlebnis vorenthalten: Auf vier Wände projiziert die Künstlerin dabei Videoaufnahmen jeweils eines Kanarienvogels, der im Käfig auf zwei Stufen hin und her springt. Man hört das Kratzgeräusch der Füße und das Flattern der Flügel. Durch das Muster der Gitterstäbe fühlt man sich als Betrachter selbst der Gefangenschaft in einem klaustrophobisch wirkenden Innenraum ausgesetzt.

So unterschiedlich die von Burki gezeigten Sujets und Motive sind, so unterschiedlich sind die Irritationen, die durch Bild-Ton- Kombinationen entstehen. Immer scheint es ihr um die Thematisierung von Zeit zu gehen, um das Phänomen der verschiedenen Wahrnehmungen von Dauer. Das Divergierende wird einander ähnlich durch die immer gleichen Abläufe, in denen es von Burki gezeigt wird. In dem komplex gestalteten, mit mehreren Projektionen ausgestatteten Raum „A Dog In My Mind“ wird dies aufgefächert.

Die vier Wände sind bedeckt mit internationalen Zeitungen. Auf dem Boden steht ein TV-Apparat, in dem eine Frau eine Fabel von La Fontaine rezitiert. An einer Wand werden unregelmäßig lachende Kinder eingeblendet; an einer zweiten zeigen Filmsequenzen dressierte Papageien, und an der dritten fallen in Zeitlupe ein Ball, ein Fisch, ein Stapel Bücher und Kosmetika auf den Boden.

Alles verursacht das identische Aufprallgeräusch. Frei im Raum hängt eine Projektionsfläche. Diese zeigt einen Mann, der die Jackentaschen seines Anzuges nach etwas durchsucht und dann in seinem Schuh etwas Störendes entfernen möchte. Er kommt zu keinem Ergebnis. Die Kinder lachen, die Frau spricht, die Papageien laufen Rollschuh, und dazu macht es bum. Dann noch einmal, dann wieder. Immer und immer wieder. Martin Pesch

Noch bis zum 29. November im Bonner Kunstverein