"Not in my backyard!"

■ Eine Studie hat die Konflikte zwischen Alt- und Neubürgern im Berliner Umland untersucht

Der Bauboom rund um Berlin ist ungebrochen. 45.000 BerlinerInnen zogen im vergangenen Jahr ins Brandenburgische; der Potsdamer Bauminister Hartmut Meyer geht davon aus, daß alleine im Speckgürtel bis zum Jahr 2010 etwa 112.000 neue Wohnungen benötigt werden. Statistisch sind es immer noch vor allem Westberliner, die die Flucht antreten und sich den lange unerfüllbaren Traum eines Lebens in freier Natur endlich erfüllen wollen.

Dabei ist unübersehbar, daß es vor allem in den schnell wachsenden Kommunen rund um Berlin – Falkensee, Großglienicke, Stahnsdorf, Wandlitz, Kleinmachnow – immer häufiger zu Auseinandersetzungen zwischen Alt- und Neubürgern kommt. Einem Westberliner Professor erscheint die ortsansässige Jugend unerträglich, er beschwert sich, im Gegenzug werden Farbbeutel an seine Garage geworfen. Ein Trupp 50jähriger Dorfbewohner müht sich mit dubiosen Mitteln, die zugereiste Studenten-WG zu vertreiben – wer die Lokalseiten der Brandenburger Presse liest, stößt mit schöner Regelmäßigkeit auf derartige Meldungen.

Jetzt ist wissenschaftlich erforscht, daß und warum es im Umland zu Konflikten kommt. Unter dem Titel „Zwischen High-Tech- Kathedralen und Nationalpark DDR“ hat das Institut für Regional- und Strukturplanung in Erkner zweieinhalb Jahre lang untersucht, inwieweit rund um Berlin völlig unterschiedliche Prägungen aufeinandertreffen.

Das Fazit der Forscher: „Was wir dort finden, geht weit über die üblichen Stadt-Land-Animositäten, wie wir sie in Hamburg und Frankfurt erleben, hinaus“, sagt der Soziologe und Leiter der Forschungsgruppe, Ulf Matthiesen. Viele derer, die sich von niedrigen Baupreisen locken ließen, hätten offenbar „die kulturelle Ebene nicht einkalkuliert“. In manchen Dörfern hätten sich „regelrechte Lager“ gebildet.

An vorderster Front derer, die mit den neuen Nachbarn kollidieren, stehen nach Matthiesens Beobachtung die Westberliner. „Ostberliner waren zwar in der DDR auch nicht beliebt, weil sie als privilegierte Hauptstädter galten“, so Matthiesen, „aber in der Regel haben sie weniger Probleme.“

Dabei liegen die Probleme oft nicht nur bei den Einheimischen: Viele Westberliner seien „regelrecht entgeistert“, so Matthiesen, „wenn ihre Kinder von Lehrern erzogen werden, die sie selber als autoritäre Ost-Erzieher empfinden“. In Kleinmachnow, in unmittelbarer Nachbarschaft des scheidenden Innensenators Jörg Schönbohm (CDU), wurde zumindest dieses Problem ganz pragmatisch gelöst: Dort gibt es längst eine Waldorf- Schule.

Häufiger richtet sich die Ausgrenzung allerdings gegen diejenigen, die – noch? – in der Minderheit sind: gegen die Zuzügler. In zahlreichen Kommunalparlamenten, so hat Matthiesen beobachtet, seien Ausschlußmechanismen ebenso an der Tagesordnung wie an Schulen oder in der örtlichen Bibliothek.

In diversen Gemeinden stießen die Forscher auf Bürgerinitiativen, die mit allen Mitteln gegen einen weiteren Zuzug kämpften und zu diesem Zweck vor allem gegen örtliche Flächennutzungs- und Bebauungspläne Front machten – oft mit Erfolg und unter dem Vorwand schlagkräftiger ökologischer Argumente.

In einigen Gemeinden kämpfen nach Matthiesens Erkenntnissen allerdings auch schon wieder die Wessis an vorderster Front. Es sind jene, die Anfang der neunziger Jahre als erste „den Sprung geschafft haben“. Den „Pionieren“ sei es offenbar damals noch gelungen, die alteingesessene Bevölkerung hinter sich zu versammeln, so Matthiesen. „Kaum waren sie da, haben sie hinter sich dicht gemacht.“ In der Stadt- und Regionalsoziologie spricht man angesichts eines derartigen Abschottungsphänomens von NIMBY: „Not in my backyard“! Die alteingesessene Bevölkerung in Brandenburg teilte das Soziologenteam in vier Gruppen auf: Unter „Nationalpark DDR“ werden zumeist ältere Einheimische verstanden, unter ihnen zahlreiche PDS-Wähler. Sie kennzeichnet ein „Summton der Unzufriedenheit“. Als Gruppe Nummer zwei machten die Forscher die „radikalen Konsumisten“ aus: vor allem automobilisierte Jugendliche, die Konsum und Fortschritt weit geöffnet sind. Auch diese zeigten sich fremden Menschen verschlossen, vor allem gegenüber Zuzüglern. Mit vielen Älteren eint sie eine gefühlsmäßige Ablehnung des Neuen.

Als dritte Gruppe definiert Matthiesen sogenannte „Modernisierer“ mit Bodenhaftung in der märkischen Heimat, unter ihnen viele der neuen lokalen Eliten. Auch zur vierten Gruppe, den „radikalen Modernisierern“, gehören viele Selbständige, die allerdings jede Herkunftsmarkierung getilgt haben und nicht die klassischen Produzenten von Ost-West-Konflikten sind.

Aber es ist gar nicht nur der psychologische Ost-West-Konflikt, der das Umland prägt, sondern auch eine geradezu surreale Szenerie, die dort seit der Wende entstanden ist: mit halbverfallenen märkischen Dörfern, DDR-Plattenbauten und Bullenmaststationen bis hin zu High-Tech-Parks und Mega-Einkaufszentren.

Trotz alledem haben die Stadt- und Regionalplaner die Hoffnung auf eine Befriedung noch nicht aufgegeben. Das Fernziel: eine lernende Region, in der die Menschen trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft offen miteinander umgehen. Das aber, so Matthiesen, sei „kein Schönwetterkonzept, sondern eine echte Aufgabe“. Jeannette Goddar