Letzter Aufruf Richtung Frieden

In Burundi zeigt sich die paradoxe Wirkung von Wirtschaftssanktionen: Der ungeliebte Präsident Buyoya sitzt fester im Sattel denn je. Eine Friedenschance?  ■ Aus Bujumbura François Misser

Letzter Aufruf für Flug 001 nach Bukavu“, hallt es durch das Flughafengebäude der ruandischen Hauptstadt Kigali. Wie jeden Tag drängen sich die Passagiere in ein Kleinflugzeug der Rwanda Airways, dessen russische Besatzung offiziell die Stadt Bukavu im Osten der Demokratischen Republik Kongo anfliegt. Und wie jeden Tag landet die Maschine in Wirklichkeit in Bujumbura, Hauptstadt Burundis, das seit dem Militärputsch von 1996 einem regionalen Wirtschaftsembargo unterliegt und nicht angeflogen werden darf.

Die burundische Hauptstadt bietet ein erstaunliches Bild. Noch nie hat es in Bujumbura einen solchen Bauboom gegeben wie unter dem Wirtschaftsembargo. Eine italienische Firma ist gerade dabei, den Bau einer Schnellstraße vom Flughafen ins Stadtviertel Kiriri abzuschließen. Im Zentrum der Hauptstadt steht ein fast fertiger Büroturm, in dem zukünftig die regionale Banque de la Zone d'Echanges Préférentiels ihren Sitz haben soll.

An Wochenenden sind die Diskotheken der Stadt bis zur Ausgangssperre um Mitternacht brechend voll. Belgische Bankiers berichten, sie könnten ungestört mit dem Auto durch das Land aus Bujumbura bis nach Ruanda fahren – diese Straße war jahrelang lebensgefährlich.

Die Tutsi-Taxifahrer der Hauptstadt fahren ungestört in die Stadtviertel Kamenge und Kinama, vor drei Jahren noch Schauplätze von Kämpfen zwischen der Tutsi-dominierten Armee und den Hutu-Rebellen der Kräfte zur Verteidigung der Demokratie (FDD). Damals vertrieb die Armee die Hutu-Bevölkerung – heute sind die meisten Bewohner von Kamenge, burundische Hutu und Kongolesen, wieder zurückgekehrt. Überall bauen sie ihre Häuser wieder auf, die seit 1996 von Unkraut überwuchert waren. Die Arbeit ist jedoch schwer, weil die Regierung zwar kostenlose Wellblechdächer versprochen hat, sie aber oft nicht rechtzeitig verteilt. So schwemmt zuweilen der Regen die gerade getrockneten Lehmwände wieder weg.

Auch im Umland boomt die Wirtschaft. Die Teefabrik von Teza, 1996 von den FDD-Rebellen zerstört, ist wiederaufgebaut worden, und die Produktion soll dieses Jahr 7.200 Tonnen erreichen, 71 Prozent mehr als 1997. Der Tee wird über den Tanganjikasee nach Sambia am Südende des Sees exportiert, von wo aus er über Südafrika den Weltmarkt erreicht. Auch Fische aus dem Tanganjikasee sind wieder auf den Märkten zu haben – eine Zeitlang hatte das Militär die Fischerei auf dem See verboten, weil die Rebellen dort mit Motorbooten Nachschub aus Nachbarländern herbeischafften.

Nun ist es die Regierung, die mit dem Ausland Handel treibt. Kohorten von Behinderten auf Dreirädern bringen Bier und Mineralwasser aus der Brauerei von Bujumbura über die Grenze in die kongolesische Stadt Uvira – Behinderte sind vom Zoll befreit. Kenya Airways bricht das Embargo noch offener als Rwanda Airways und fliegt Bujumbura ganz offiziell an. Auf die Proteste von Uganda und Tansania, die das Embargo gegen Burundi weiterhin strikt einhalten, antwortet Kenia mit Androhungen von Maßnahmen gegen jeden, der den freien Flugverkehr seiner Luftlinie behindern sollte.

Mit einer australischen Firma hat Burundis Regierung einen Vertrag über die Ausbeutung der Nickelminen von Musongati im Zentrum Burundis abgeschlossen. In derselben Region baut eine südafrikanische Firma eine Fabrik zur Goldextraktion.

Grund für all diese neuen Aktivitäten ist vor allem die Verbesserung der Sicherheitslage, was wiederum politisch begründet ist. Die Armeeführung hat versucht, mehr Mitglieder der Hutu-Bevölkerungsmehrheit zu rekrutieren, die Offiziere sind zum Dialog mit der Bevölkerung angehalten: Sie nehmen an lokalen Seminaren teil, die der Menschenrechtsminister Eugene Nindorera organisiert und bei denen Militärs, die sich Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben, zwecks späterer Bestrafung denunziert werden. 200 Militärs sind derzeit wegen Menschenrechtsverletzungen im Gefängnis, erklärt ein Offizier.

Die im Juni beschlossene sogenannte Partnerschaft zwischen den beiden wichtigsten politischen Parteien des Landes, der Hutu-dominierten Frodebu, die im Parlament die Mehrheit hält, und die Tutsi- dominierte Uprona, der Präsident Pierre Buyoya angehört, hat zur Entspannung der Lage beigetragen. Sie führt dazu, daß das aus den Wahlen von 1993 hervorgegangene Parlament und die aus dem Putsch von 1996 hervorgegangene Regierung jetzt zusammenarbeiten. Bei der Eröffnung der laufenden Sitzungsperiode des Parlaments am 5. Oktober tranken die einst verfeindeten Lager Brüderschaft, statt sich gegenseitig als „Völkermörder“ und „Putschisten“ zu beschimpfen.

Bis 1996 war Burundis Politik zwischen Hutu- und Tutsi-Lagern gespalten. Heute verläuft die Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern von Buyoyas „Partnerschaft“ und spaltet damit Hutu und Tutsi. Die Frodebu ist zerfallen – ihr innerer Flügel ist Teil der Regierung, ihr Exilflügel ist in drei Fraktionen gespalten. Auch die Uprona spaltete sich am 7. Oktober in Anhänger und Feinde Buyoyas: Parteichef Charles Mukasi wurde vom Zentralkomitee der Partei seines Amtes enthoben. An seiner Stelle wurde Luc Rukingama gewählt, Kommunikationsminister in Buyoyas Regierung.

Bei dem erregten Treffen mußte Mukasi von der Polizei gegen seine eigenen Parteiaktivisten geschützt werden. Am nächsten Tag verkündete Mukasi den Parteiausschluß seines Nachfolgers, dem er die Einrichtung einer „parallelen Führung“ unter „Bruch der Statuten“ vorwarf. „Das Zentralkomitee kann keine Entscheidungen treffen, ohne daß der Parteipräsident ihm vorsitzt“, behauptete Mukasi gegenüber der taz und verkündete, er werde sich ans Oberste Gericht wenden. Mukasi gab zu, daß es bei dem Streit in Wahrheit darum geht, wie die Partei zu Buyoyas Politik steht, die Verhandlungen mit den Hutu-Rebellen gutheißt, weil diese zur Aufhebung des Embargos führen sollen. Mukasi wirft seinem Gegner vor, mit „Völkermördern“ zu paktieren. Und er droht mit einem Untergrundkampf, um seine Ideen zu verteidigen.

Der Frieden in Burundi ist also fragil. „Wir können uns nicht mehr wie früher auf schöne Worte verlassen“, meint Terence Nahimana, Vertreter der „Zivilgesellschaft“ im Parlament. „Die Bürger müssen merken, daß konkrete Dinge passieren. Wenn Richter und Militärs wirklich den Bürgern dienen, wird niemand mehr sich für die Herkunft dieses oder jenes Richters oder Offiziers interessieren“ – also zuerst fragen, ob er Hutu oder Tutsi ist.

Aber für die „konkreten Dinge“ wird Burundi auf 1999 warten müssen. Staatschef Pierre Buyoya will „schrittweise“ die „ethnischen und regionalen Ungleichgewichte“ verringern, indem er „professionelle Regeln“ in Armee und Justiz respektiert, sagt er. Buyoya ist gegen Hutu-Tutsi-Quoten, wie es sie in Ruanda vor dem Völkermord gab – dort vertieften sie die Spaltung der Gesellschaft. Er will Fördermaßnahmen für Hutu in Justiz und Militär, ohne „die Regeln dieser Sektoren mit Füßen zu treten“ – denn „sonst säen wir die Zerstörung von morgen“.

Das dauert – vielleicht zu lange. In der Zwischenzeit könnte die wirtschaftliche Lage sich schnell wieder verdüstern. Jahrelanger Bürgerkrieg hat zur Vernachlässigung und Aufgabe vieler Kaffeeplantagen geführt, so daß die Produktion dieses Jahr von 20.000 auf 16.500 Tonnen sinken wird. Der Erlös aus dem Kaffee-Export sichert Burundi normalerweise drei Viertel seiner Deviseneinnahmen. Nun verarmen die Kaffeebauern und können ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken. In den meisten Landesteilen gehen nur noch 40 Prozent der Kinder zur Schule – früher waren es 70 Prozent.

Auch die Sanktionen haben durchaus noch Wirkungen. „Das Embargo tötet“, sagt Menschenrechtsminister Eugene Nindorera. Leonidas Havyarimana, unabhängiger Abgeordneter aus dem südburundischen Rutana, beschreibt, wie knapp im Krankenhaus in seinem Wahlkreis Medikamente sind, während zugleich Malaria und andere Seuchen wüten. Im Oktober gab es in Bujumbura eine künstliche Benzinknappheit, weil die Benzinimporteure ihr Produkt zurückhielten, um den Staat zur Gewährung besserer Profitmargen zu zwingen. Auf dem Schwarzmarkt kostet Benzin jetzt das Dreifache des amtlich festgesetzten Preises.

Vor allem ist seit Beginn des Bürgerkrieges im Kongo im August die ganze Region wieder unsicher geworden. Die Lage jenseits der Grenze im oft nur nominell von Rebellen beherrschten Osten des Kongo ist extrem verworren, was neue Angriffe der Hutu-Rebellen aus dem Kongo auf den Norden Burundis begünstigt.

„Weil es auf kongolesischer Seite niemanden mehr gibt, der diese Angriffe verhindern kann, können wir gezwungen sein, Inkursionen in den Kongo vorzunehmen oder die Angreifer auf den Seeufern zu schlagen“, sagt ein Offizier. Dazu kommt, daß die Regierung Kabila im Kongo Mitglieder der früheren ruandischen Hutu- Armee angeworben hat, die nach UN-Recherchen mit burundischen Hutu-Rebellen verbündet sind. Auch dies führt Burundi dazu, seine Militärpräsenz jenseits der Grenze im Kongo zu verstärken und damit am dortigen Bürgerkrieg teilzunehmen.

„Dieses Milizenphänomen ist gefährlich“, sagt Burundis Präsident Buyoya. „Wenn das weitergeht, drohen alle Länder der Region, Burundi eingeschlossen, in den Krieg hineingezeogen zu werden, ob sie wollen oder nicht – vielleicht nicht, um die eine oder die andere Seite zu unterstützen, sondern jeder für sich allein.“