Maulkorb und Fußketten

Fragwürdige Anklage gegen Journalisten und Kapitän wegen Hochverrats in Wladiwostok  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Ob ich noch lebe, wenn man mich freispricht, bezweifle ich“, schrieb Grigori Pasko an die russische Sektion des internationalen PEN-Clubs. Dem Armeejournalisten und russischen Marinekapitän wird in Wladiwostok gerade der Prozeß gemacht. Auf Hochverrat und Spionage lautet die Anklage des Marinegerichts der Pazifikflotte.

Seit November vergangenen Jahres sitzt Pasko, dessen Körper inzwischen mit Ödemen übersät ist, unter unmenschlichen Bedingungen in Untersuchungshaft. Vier Jahre hatten Ermittler des FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB, den Journalisten überwacht, bevor sie schließlich zuschlugen. Die vermeintliche Straftat reicht in den Herbst 1993 zurück. Damals hatte der japanische Fernsehsender TNK einen Beitrag ausgestrahlt, der Rußlands Marine bei der heimlichen Verklappung von radioaktivem Abfall im Pazifik zeigte. Die Aufnahmen stammten von Pasko, der für die Armeezeitung Boewaja Wachta arbeitete.

Die Kläger behaupten, der Kapitän ersten Ranges hätte Staatsgeheimnisse verkauft. Dem globalen Vorwurf des Hochverrats folgte jedoch bisher keine detaillierte Anklageschrift. So läßt sich gar nicht aufführen, was Pasko im einzelnen eigentlich zur Last gelegt wird. Die Anwälte des Beschuldigten nannten den Prozeß denn auch eine „Farce“. Sie wittern dahinter eher eine allgemeine Tendenz: Militär, Geheimdienst und Regierung fangen wieder an, unliebsame Journalisten zu deckeln.

Der Kasus Pasko erinnert in fataler Weise an den schwebenden Prozeß Alexander Nikitins in St. Petersburg. Auch er ein Kapitän der russischen Marine und seit Jahren unter Anklage. In Zusammenarbeit mit der norwegischen Umweltorganisation Bellona hatte er Material über haarsträubende Praktiken der Nordmeerflotte im Umgang mit nuklearem Abfall gesammelt und veröffentlicht.

Sein Sender will nichts mehr damit zu tun haben

Doch Nikitin steht im Rampenlicht internationaler Aufmerksamkeit. Amnesty international ernannte ihn zum ersten postsowjetischen Gefangenen aus Gewissensgründen. Pasko fehlen unterdessen in Wladiwostok namhafte Fürsprecher: Der japanische Fernsehsender, der die Videoaufnahmen 1993 unbedingt verbreiten wollte, hält sich aus dem Fall heraus. Die Betreiber von TNK geben vielmehr zu verstehen, wie außerordentlich unangenehm es ihnen sei, mit dem Beschuldigten überhaupt etwas zu tun gehabt zu haben.

Die Staatsgewalt im Kreis Primorje, acht Zeitzonen von Moskau entfernt, steht überdies in dem Ruf, mit Andersdenkenden nicht zimperlich zu verfahren. Warum observierte der FSB den Angeklagten jahrelang, ohne ihn festzunehmen? Schließlich war das Herzstück der Anklage, die Sendung, bereits vor vier Jahren ausgestrahlt worden. Offenkundig geht es hier nicht um Landes- und Geheimnisverrat. Statt dessen müssen handfeste Interessen korrupter Staatsorgane verletzt worden sein. Pasko hatte in den letzten Monaten vor seiner Arrestierung recherchiert, wo und wie mehrere Millionen japanische Yen entsorgt worden waren, die Tokio dem Nachbarn zur Verfügung gestellt hatte, um just radioaktiven Müll umweltschonend zu beseitigen.

Als Pasko nach einer Japanreise vor einem Jahr festgenommen wurde, stellten die Fahnder Unterlagen sicher, die die Staatsanwaltschaft inzwischen auch als Beweismittel geheimdienstlicher Tätigkeit wertet. Paskos Frau Galina Morosowa, die ihren Mann während der Haftzeit nur viermal besuchen durfte, sagte indes aus, keines der Dokumente trüge den Vermerk „geheim“. Vielmehr seien die meisten vorher schon veröffentlicht worden.

Paskos Aussichten auf einen Freispruch sind ziemlich gering. Der FSB, im Fall Nikitin gezwungen, klein beizugeben, wird an Pasko daher ein Exempel statuieren. Noch wichtiger scheint indes: einen Schnüffler aus dem Verkehr zu ziehen, bevor er den Nachweis liefert, wer wieviel in den oberen Etagen der Macht aus der Ökohilfe zur privaten Existenzsicherung abgezweigt hat.