Lehrreiches Scheitern

■ Reportage über junge Deutsche, die „Freiwillig in Stalins Gulag“ bei der Musealisierung eines KGB-Lagers helfen (Sa., 21.45 Uhr, WDR)

Gut zu sein ist nicht so schwer, Gutes tun dagegen sehr: Eine Gruppe junger Deutscher reiste mit einem Sack voller Idealismus nach Perm, um dort auf Einladung der russischen Menschenrechtsgruppe Memorial bei der musealen Rekonstruktion des ehemaligen Arbeitslagers und KGB-Gefängnisses Perm 36 mitzuwirken. Begleitet wurde die Gruppe von den WDR-Reportern Georg Restle und Andreas Maus, die die Konfrontation des jugendlichen Gegen-das-Vergessen-Enthusiasmus mit der prosaischen russischen Wirklichkeit ziemlich gnadenlos und doch sensibel beobachteten.

Mit Off-Kommentaren halten die Autoren sich nüchtern zurück, verunglückte Sätze wie „Nicolai ist gekommen, um Geschichte einmal hautnah zu erleben, mitten in der Todeszone des alten Camps“ bleiben glücklicherweise die Ausnahme. Statt dessen kommen die jungen Deutschen selbst zu Wort und sagen Sätze wie diesen: „Man spürt, daß da was ist, hier ging was ab, was Geheimnisvolles.“

Das deutsche Bemühen, russisches Gras zu mähen, Zäune wieder aufzurichten und ein Lager zu rekonstruieren, das bis 1987 als Haftanstalt für politische Gefangene berüchtigt war, mag seltsam erscheinen. Die Frage, ob Deutsche sich nicht eher deutschen KZ- Gedenkstätten oder dem Erhalt der Gedenkstätte in Auschwitz widmen sollten, kommt den Jugendlichen aber nicht in den Sinn. Sie sehen sich zunächst zweifelsfrei auf der richtigen Seite stehen und denken scheinbar auch nicht darüber nach, wie sinnvoll es ist, die Erinnerung mit einer nachgestellten Kulisse erschauern zu lassen. In Zweifel geraten sie erst, als sie Kukuschkin kennenlernen, einen kettenrauchenden Mann mit offenem Hemd und breiter Brust. Der ehemalige Wärter und Aufseher des Lagers ist jetzt Angestellter von Memorial und koordiniert den Wiederaufbau. Diese Laxheit im Umgang mit Schuld und Verantwortung ist ein schwerer Schock für die Deutschen und ihre ordentliche Erinnerungkultur. Noch verwirrender wird die Lage mit dem Besuch ehemaliger Häftlinge. Sergej Kowaljow, einer der prominentesten russischen Bürgerrechtler und ehemals Weggefährte Sacharows, bringt wenig Verständnis für die Probleme der Deutschen auf. Er kreidet ihnen ihr luxuriöses Gutmenschentum an und zieht schließlich sogar ihre demokratischen Grundsätze in Zweifel. So hätte man sich das Gespräch mit einem Opfer der Repression bestimmt nicht vorgestellt, und prompt beginnt es nun auch noch zu regnen, als stünde es so im Drehbuch.

Ein Verständnis zwischen Deutschen und Russen – das zeigt der Film überdeutlich – ist mit gutem Willen allein nicht möglich. Zu unterschiedlich sind die Herkunftswelten und Vorstellungshorizonte. Doch gerade in diesem Scheitern zeigt sich, wie sinnvoll und lehrreich ein Besuch in der Fremde sein kann. Das letzte Wort aber erhält ein russischer Arbeiter, der gerade einen Telegrafenmast besteigt und von oben herunterruft, daß die Anstrengung um das Lager totale Geldverschwendung sei. Aber wer weiß, sagt er, wenn sich die Zeiten ändern, brauchen wir vielleicht bald wieder neue Gefängnisse. Jörg Magenau