Wahrheitskommission schont weder Schwarz noch Weiß

■ Bericht rechnet mit Zeit der Apartheid ab: ANC kann Veröffentlichung nicht stoppen, Ex-Staatschef de Klerk allerdings vor Gericht Schwärzungen durchsetzen

Pretoria (taz) – In Südafrika ging gestern eine Ära zu Ende: Die gesetzlich vorgeschriebene Beschäftigung mit der Vergangenheit durch die sogenannte Wahrheitskommission ist so gut wie abgeschlossen. Erzbischof Desmond Tutu konnte trotz juristischen Streits am Mittag den 3.500 Seiten langen Abschlußbericht an Präsident Nelson Mandela übergeben. In ihrer fast dreijährigen Tätigkeit hat die Kommission mehr als 20.000 Opfer angehört; 7.000 Täter haben Amnestie beantragt. Weil der zuständige Ausschuß noch bis ins nächste Jahr hinein tagen darf, wird der Bericht noch ergänzt werden.

In dem Dokument stellt die Kommission fest, daß die Apartheid ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war, und macht den südafrikanischen Staat für jahrelange gezielte Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Entführung und Mord verantwortlich. Namentlich genannt werden dabei der frühere Präsident Pieter Willem Botha, der Ex-Verteidigungsminister Magnus Malan und der frühere Armeechef Constand Viljoen. Botha wird vorgeworfen, die Bombenattentate auf die Hauptquartiere des Südafrikanischen Kirchenrats und des Gewerkschaftsverbandes persönlich angeordnet zu haben.

Auch mit den ehemaligen Befreiungsbewegungen geht die Kommission scharf ins Gericht. Sowohl der ANC als auch der PAC seien „moralisch und politisch verantwortlich für schwere Menschenrechtsverletzungen im Befreiungskampf“. Der Kampf sei zwar in der Sache gerecht gewesen, habe aber nicht jedes Mittel gerechtfertigt, kritisiert die Kommission. Bei Attentaten und in den Lagern im Exil seien Unschuldige getötet und gefoltert worden. Der ANC habe noch nach der Aufhebung seines Verbots 1990 jahrelang Menschenrechtsverletzungen begangen.

Ein eigenes Kapitel widmet sich Winnie Madikizela-Mandela und ihrer ehemaligen Leibgarde. Der geschiedenen Ehefrau von Nelson Mandela wird angelastet, selbst Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben und politisch und moralisch für eine ganze Reihe von Morden verantwortlich zu sein, die vom „Mandela United Football Club“ begangen wurden.

Der ANC hatte noch wenige Stunden vor der Veröffentlichung überraschend versucht, den Bericht zu stoppen. Der Antrag auf einstweilige Verfügung scheiterte jedoch vor dem Obersten Gericht.

In ihrer Zusammenfassung empfiehlt die Kommission strafrechtliche Verfolgung in allen Fällen, in denen keine Amnestie beantragt wurde und die Beweislast ausreicht. Die Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen sollten entschädigt und eine „Wohlstandsabgabe“ eingeführt werden, um das enorme soziale Gefälle, das durch die Apartheidpolitik entstanden sei, auszugleichen.

Kordula Doerfler Tagesthema Seite 3