Kommentar
: Unbequem

■ In Südafrika will niemand mehr die Wahrheit der Kommission hören

Drei Jahre lang hat Südafrikas Wahrheitskommission Menschenrechtsverletzungen der Apartheidzeit untersucht. Was sie zutage gefördert hat, ist kritisch gegenüber allen Seiten – zu kritisch für viele, selbst für die Regierungspartei und einstige Befreiungsarmee ANC. Die meisten Oppositionsparteien boykottierten die Übergabe des Abschlußberichts an Präsident Mandela ohnehin. Daß jedoch ausgerechnet der ANC in allerletzter Minute versucht hat, die Veröffentlichung zu verhindern, überraschte alle Beteiligten. Feierstimmung wollte da nicht mehr aufkommen.

Der politische Schaden, den der ANC mit seiner Klage angerichtet hat, ist immens und untergräbt sein internationales Ansehen. Die Wahrheit, die die Kommission suchen sollte, kann der ANC nicht ertragen. Formaljuristische Vorwände mußten herhalten, um einen parteipolitischen Streit auszutragen, der die gesamte Arbeit der ohnehin umstrittenen Kommission in Frage stellt.

Eine solch weitreichende Entscheidung konnte nur mit Billigung der Führungsspitze der ANC getroffen werden konnte. Ganz oben, da ist heute längst nicht mehr Nelson Mandela. Zwar ist er noch Präsident des Landes, aber nicht mehr des ANC. Thabo Mbeki, sein Nachfolger in beiden Ämtern, führt bereits die Geschäfte und hat sich mit einem Küchenkabinett von zweifelhaften Ratgebern umgeben. Mbeki hielt sich aus dem Streit öffentlich heraus, doch das Vorgehen des ANC geht auch auf sein Konto. Noch immer bewegt sich Mbeki im Spannungsfeld zwischen einer Freiheitsbewegung und der Regierungspartei eines Landes, das in Afrika Führungsqualitäten beansprucht. Dazu gehört auch die rituelle Beschwörung des Mythos Befreiungskampf, in dem jedes Mittel recht und Rechtens war. Zwar ist der smarte Anzugträger Mbeki alles andere als der Prototyp eines Guerilleros, doch es ist Wahlkampf, und billiger Populismus, so glaubt man, kommt beim Fußvolk gut an. In der Aufregung um die angebliche Verunglimpfung des „struggle“ ist bereits vergessen, daß der ANC selbst eine Wahrheitskommission gefordert hatte und Mandela für das Konzept der Versöhnung einstand. Es muß eine von Tutus dunkelsten Stunden gewesen sein, zu erkennen, daß das „neue Südafrika“ bedenkenlos eine historische Leistung wie die Wahrheitskommission der Parteipolitik opfert. Am Ende will in Südafrika niemand die Wahrheit hören. Kordula Doerfler