Polizeipräsident will Todesschuß

Nach der Geiselnahme eines Kindes in Berlin fordern Polizei und CDU Neuregelung des „finalen Rettungsschusses“. Grüne: Vorhandene Vorschriften ausreichend  ■ Von Plutonia Plarre

Eine Geiselnahme um Leben und Tod hat in Berlin die Diskussion um den „finalen Rettungsschuß“ der Polizei neu entfacht. Am Montag hatte ein Algerier auf einem U-Bahnhof in Kreuzberg einen dreijährigen Jungen sechs Stunden in seiner Gewalt (siehe Kasten). Die Polizei hatte allen Anlaß zu glauben, daß der Mann das Kind töten würde. In einem winzigen Augenblick der Unaufmerksamkeit gelang es einem Beamten des Sondereinsatzkommandos (SEK), den Täter mit einem Tritt gegen den Kopf zu überwältigen. Auf einer anschließenden Pressekonferenz teilte der Berliner Polizeipräsident Hagen Saberschinsky mit, ein Präzisionsschütze habe den Algerier mit angelegter Maschinenpistole im Visier gehabt. „Es hat in Berlin noch keinen Täter gegeben, der so nah am Tod war wie dieser Mann“, erklärte der SEK-Einsatzleiter.

Saberschinsky nahm den Vorfall zum Anlaß, um für die Berliner Polizei mit Nachdruck eine gesetzliche Neuregelung des „finalen Rettungsschusses“ zu fordern. Im Gegensatz zu einigen anderen Bundesländern gibt es in der Hauptstadt kein Gesetz, das den „finalen Rettungsschuß“ erlaubt. Das bedeutet aber nicht, daß die Polizei bei einer Geiselnahme wie am Montag nicht schießen darf. Nach den polizeilichen Bestimmungen über den Schußwaffengebrauch ist ein tödlicher Schuß in einer lebensbedrohlichen Situation auch ohne eigenes Gesetz für den „finalen Rettungsschuß“ möglich. Rechtsgrundlage sind die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Notwehr- und Nothilferechte.

Die Berliner Bündnisgrünen, die vom „polizeilichen Todesschuß“ sprechen, sind strikt gegen eine neue Regelung. Das Berliner SEK habe in den vergangenen zwanzig Jahren sämtliche Geiselnahmen und Entführungen ohne polizeiliche Todesschüsse beendet. Eine Normierung würde zum Abbau der Hemmschwellen beitragen, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland. „Wir haben die große Befürchtung, daß dann öfters von der Schußwaffe Gebrauch gemacht wird.“

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die CDU unterstützen den Polizeipräsidenten in seinen Bestrebungen. Nach der gegenwärtigen Rechtslage sei es so, daß ein Polizist, der einen Täter aus Gründen der Notwehr oder Nothilfe erschieße, sich vor Gericht rechtfertigen müsse. „Das ist eine unerträgliche Situation“, meint der rechtspolitische Sprecher der CDU, Andreas Gram. Fakt ist, daß gegen jeden Polizisten, der schießt, ermittelt wird. Aber wenn der Schußwaffeneinsatz rechtmäßig war, wird das Verfahren eingestellt. Das wäre auch im Fall einer Gesetzesneuregelung nicht anders. Der Unterschied jedoch ist, daß der Vorgesetzte dem Beamten nunmehr befehlen könnte, abzudrücken. Im Zweifelsfall käme es dann nicht nur gegen den Beamten, sondern auch gegen den Befehlsgeber zum Prozeß. „Es ist ein kleiner Unterschied, ob der Schütze allein oder zusammen mit dem Innensenator auf der Anklagebank sitzt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Berliner GdP, Detlef Rieffenstahl. Die Sicherheitsexpertin der SPD, Heidemarie Fischer, findet dieses Argument „so überzeugend“, daß sie in ihrer Partei für eine Gesetzesneuregelung werben will.

Sechs Bundesländer haben den „finalen Rettungsschuß“ in ihrem Landes-Polizeigesetz definitiv geregelt: Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In den übrigen Länden ist der Fall strittig. Die GdP behauptet, alle Bundesländer – mit Ausnahme von Berlin, Bremen und dem Saarland – hätten ein entsprechendes Gesetz.

Norbert Pütter, Redakteur der Zeitung für Bürgerrechte und Polizei, CILIP, verweist darauf, daß sich zehn Bundesländer bei einem erforderlichen Todesschuß auf das Strafgesetzbuch stützen. Pütter ist kein Fall bekannt, in dem ein Polizist, der aus Nothilfe einen Täter erschossen hat, belangt worden wäre.