Berlin? Babylon!

Jeden Dienstag reservieren wir diesen Platz für eine Kollegin aus der internationalen Presseszene der Hauptstadt, hatten wir uns vorgestellt, als die Berlin-Redaktion überlegte, was künftig auf den neuen Berlin-Seiten der taz zu lesen sein sollte.

Einige Dutzend ausländische Journalisten sind in Berlin offiziell akkreditiert, und noch mehr arbeiten nebenberuflich oder auch gelegentlich im Medienbereich. An dieser Stelle wollten wir explizit erfahren, wie AutorInnen ausländischer Herkunft auf unsere Stadt blicken und auf alles, was sich hier tut. Ganz bewußt wollten wir ihnen kein Thema vorgeben, sondern uns überraschen lassen von ihrer Wahrnehmung. – Damit sie wiedererkannt wird, braucht jede Rubrik einen Namen, für diese hatten wir uns die klangvolle Bezeichnung „Ghettoblaster“ ausgedacht.

KollegInnen, die wir persönlich ansprachen, waren von der Idee begeistert und kündigten spontan ihre Beteiligung an. Auch die „Meinungsmacher“ von Radio MultiKulti beim Sender Freies Berlin waren zunächst erfreut über die Einladung der taz, gelegentlich Beiträge des Senders zu übernehmen. Zweimal druckten wir in den vergangenen Wochen die entsprechenden Texte unter dieser Rubrizierung ab. Die Idee kam an, allein der Name mißfiel gründlich.

Der Titel transportiere „Abgrenzung“, meinen einige der AutorInnen nun, sie fühlen sich in die Ghettoecke gesteckt und möchten unter diesem Label ihre Texte und ihre Namen nicht veröffentlicht sehen. Damit haben die AutorInnen nun etwas wahrgenommen, was uns in der Tat nicht aufgefallen ist, als wir zusammensaßen und unseren Kolumnen Namen gaben. Insofern ist die Überraschung geglückt.

„Ghettoblaster“, damit ist erst mal diese Soundmaschine gemeint, deren meist musikalische Message jede Grenze „blastet“, sprengt, überwindet. Da steckt Musik drin, das ist der spielerische Hinweis auf den anderen Blick, den wir uns in dieser Rubrik erhoffen, heißt es in der Berlin-Redaktion der taz.

Multikulturelles Berlin? Babylon! Die Stadt, in der keiner den anderen verstehen kann, in der Frechheiten, Befindlichkeiten, Vorurteile, Betroffenenkult und vulgärer Größenwahn die Seelen ins Chaos stürzen. Die Berlin-Redaktion diskutiert in den kommenden Tagen, ob sie den Titel der Rubrik halten will und in Kauf nimmt, daß Autoren nicht mehr schreiben, die an dem Titel Anstoß genommen haben. Die Rubrik an sich wird von der Redaktion weiterhin gewollt. Nicht zuletzt, um weiter am Prozeß des gegenseitigen Verstehens und Nichtverstehens mitzuwirken. Petra Groll