Krisenwunder in Pusan

Kein Geld mehr da für Hollywood: Etwas Besseres als die „Asienkrise“ konnte dem koreanischen Kino nicht passieren  ■ Von Dorothee Wenner

Wie „die Krise“ in Süd-Korea wohl aussehen würde? Auf den ersten Blick schienen leere Restaurants, die preisgünstige „IMF-Menues“ anbieten, und einige verwaiste Designer-Boutiquen in den Geschäftsstraßen die in unseren Medien beschworene, allumfassende Depression zu bestätigen.

Doch gleich die erste Filmemacherin antwortete auf mein besorgtes Nachfragen mit einem überraschenden Lachen. Byun Young- Joo, die zu den engagiertesten Dokumentaristen Süd-Koreas zählt, meint: „Etwas Besseres als die Krise hätte uns gar nicht passieren können! Die koreanischen Filmemacher erleben im Moment traumhafte Zeiten: Es gibt mehr Geld für Filme, mehr Programmplätze für koreanische Filme in den Kinos, und die Produzenten suchen händeringend nach mehr Projekten, dabei sind fast alle Regisseure ausgebucht.“

Ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren hat das momentane Kinoglück in Korea ermöglicht. Zunächst der Dollarkurs, der für koreanische Kinobetreiber die Miete für Hollywood-Filme so exorbitant steigen ließ, daß die lange Zeit als quasi natürlich angesehene Dominanz US-amerikanischer Filme in koreanischen Filmtheatern plötzlich gebrochen war. Prompt verzichtete der Daewoo- Konzern in diesem Jahr sogar darauf, seine Filmeinkäufer nach Cannes zu schicken! Diese „Politik“ traf sich mit dem Publikumsgeschmack. Regisseur Park Kwang-Su zum Beispiel glaubt, daß sich die Wirtschaftskrise bei vielen Kinogängern positiv auf die nationale Gesinnung ausgewirkt habe, das Interesse an koreanischen Filmen sei so groß wie noch nie. Zwar teilt Park nicht ganz Byuns euphorische Einschätzung, dennoch sagt auch er: „Die Krisensituation ist für Regisseure und Produzenten einfach nichts Ungewohntes, es traf uns daher nicht so überraschend und hart wie etwa die Automobilindustrie. Mein Eindruck ist, daß die Filmindustrie relativ stabil geblieben ist, im Herbst werden sehr viele neue Projekte beginnen. Dabei ist es in Einzelfällen – und letztendlich ist jedes Filmvorhaben ein Einzelfall – tatsächlich dazu gekommen, daß plötzlich von privaten Stiftungen Gelder in Filmproduktionen flossen, die sich vor der Krise nie in diesem Bereich engagiert haben. Was meiner Ansicht nach aber vor allem Anlaß zu Optimismus gibt, ist das filmpolitische Engagement der neuen Regierung.“

Vor genau einem Jahr, als der ehemalige Dissident Kim Dae Jung noch nicht zum Präsidenten gewählt war, traf er sich auf dem Pusan International Film Festival „Piff“ zum ausführlichen Gespräch mit Regisseuren und Produzenten. Das stolze Ergebnis dieser Begegnung ein Jahr später: Zum ersten Mal fördert die koreanische Regierung 20 Low-budget-Filme mit umgerechnet je 200.000 US-Dollar und immerhin 10 Kurzfilme mit je 2.000 US-Dollar! Außerdem hat Kim Dae Jung angekündigt, in nächster Zeit das immer noch bestehende Aufführungsverbot für japanische Filme in Korea aufzuheben. Vor allem die jüngere Generation, die Japan nicht mehr selbst als Kolonialmacht erlebt hat, brennt auf den kulturellen Austausch mit dem Nachbarland – nicht nur im filmischen Bereich. Wann immer japanische Filme mit Sondergenehmigungen wie etwa zum Pusan Film Festival gezeigt werden, sind ausverkaufte Säle garantiert...

In diesem Jahr fand das Festival passend zur wirtschaftlichen Situation zwar unter stürmischen Bedingungen statt – ein Taifun wehte das Publikum regelrecht ins Kino –, doch mit einem stattlichen Programm von 212 Filmen aus 41 Ländern gilt „Piff“ im dritten Jahr seines Bestehens als das wichtigste Festival Asiens. Ohne eine starke, eigene Filmkultur wäre es dazu sicher nicht gekommen, und so gehört das „Koreanische Panorama“ selbstverständlich zu den Hauptattraktionen. Es war erstaunlich, wie viele junge Regisseure Debutfilme zeigten, die entschieden mit dem alten Rezept für koreanische Erfolgsfilme gebrochen haben, das eine krude Mixtur aus mindestens vier Vergewaltigungen pro Film, dazu reichlich Schießereien und süßlicher Musik überm Reisfeld war.

Der gerade 27jährige Jang Jin zum Beispiel reagierte auf die Wirtschaftskrise mit einer schwarzen Komödie. In „The Happenings“ geht es um einen mysteriösen Serienmord an Kongreßabgeordneten, der den Polizeiapparat heillos überfordert. Als Hauptverdächtige werden vier sonderbare Gestalten in die skurrilen Ermittlungen verwickelt, einer von ihnen ist ein suizidaler Teenager. Er versucht, seine depressiven Neigungen durch politische Protestaktionen politisch „nutzbar“ zu machen, indem er – wann immer er sich aufhängen/verbrennen/erschießen will – große Plakate malt, auf denen auf die unerträgliche Verkehrssituation in Seoul oder auf die Massenarbeitslosigkeit aufmerksam gemacht wird.

Während dieser Film bei allem Charme hier und da noch etwas anfängermäßig knirscht, kommt das Debut „The Quiet Family“ von Kim Ji-Woon – bis hin zur überraschenden Auflösung – als souveräne, zynische Wiederbelebung des koreanischen Horrorfilms daher. Erzählt wird diese Geschichte aus der Perspektive der jüngsten Tochter einer Familie, die sich durch den Erwerb eines einsamen Berggasthofs eine neue Existenz aufzubauen versucht. Doch zunächst bleiben die Gäste aus. Mit dem ersten Kunden beginnt dann eine Unglückssträhne. Der komische Kauz bringt sich um und löst eine sonderbare Serie weiterer Morde und Selbstmorde aus, in der sich auch die Familie „die Hände schmutzig macht“. Um das junge Unternehmen nicht zu gefährden, begraben die Eltern die Leichen im nahegelegenen Wald. Als die Plastiksäcke durch Regengüsse und Straßenbauarbeiten am Ende hochgespült werden, bleibt die Familie tatsächlich unbescholten – die Morde werden nordkoreanischen Spionen angelastet! Diese filmische Reaktion auf die immer noch sehr heiße „Kalte-Krieg-Situation“ in Korea wurde mit fast hysterischen Lachanfällen belohnt.

Den Publikumsnerv traf auch der Erstlingsfilm „Girls Night Out“ von Im Sang-Soo. Nach ausführlichen Beratungsgesprächen im engsten Freundinnenkreis wagte sich der Regisseur daran, das Liebes- und Beziehungsleben dreier junger Frauen aus Seoul dramaturgisch in Szene zu setzen. Die eine will heiraten, ist aber mit einem Ehemuffel liiert, die zweite will Sex und Spaß, ohne sich zu binden, und die dritte hat beschlossen, sich – wegen der zu erwartenden Komplikationen – erst gar nicht mit Männern einzulassen. Das Ergebnis dieser kurzweilig erzählten und sehr modern fotografierten Geschichte ist vor allem deswegen so überraschend, weil sich bislang die Hauptdarstellerinnen in koreanischen Erfolgsfilmen von ihrem zukünftigen Ehemann fast obligatorisch vergewaltigen lassen mußten. Daß „Girls Night Out“ mittlerweile zum echten Box-office- Hit avancierte, darf man vielleicht auf baldige Revolutionierung des Frauenbildes im koreanischen Kino hoffen!

Das Festival von Pusan hat in den vergangenen zwei Jahren auch dazu beigetragen, daß koreanische Filme außerhalb des Landes – vor allem in Europa – einen Markt und damit ein Publikum gefunden haben. Zwar beschränken sich die Aufführungen noch weitgehend auf Festivals. Doch diesen Weg gingen vor einigen Jahren auch die chinesischen, japanischen und die Hongkong-Filme. Und mittlerweile gehören sie zum festen Repertoire der Kinos, die nicht nur Hollywood-Majors zeigen. Interessanterweise sind es nicht unbedingt die in Korea erfolgreichen Filme, die in Europa mit Preisen und begeisterten Kritiken gefeiert werden, doch diese „Ungleichheit“ gilt ja auch in umgedrehter Richtung.

Ein typischer Vertreter dieser im eigenen Land kommerziell nicht so erfolgreichen Regie-Talente ist der 1961 geborene Hong Sang-Soo, der schon auf der diesjährigen Berlinale mit „Der Tag, an dem das Schwein in den Brunnen fiel“ auf sich aufmerksam machte. Auch in seinem zweiten Spielfilm „The Power of Kangwon Province“ geht es um die Einsamkeit der Großstädter. Hong ist ein Meister der zeitgenössischen Melancholie. In „Power of Kangwon Province“ hat die junge Ji-Sook gerade ihre Affäre mit dem verheirateten Lehrer Sang-Kwon beendet. Zum Trost fährt sie zusammen mit ihren Freundinnen zum Wandern ins Gebirge, später wird „er“ eben diesen Ausflug mit einem Freund machen. Obwohl die Affäre für beide offenbar das große Glück war, finden sie einfach nicht mehr zusammen...

Doch „die Handlung“ spielt in Hongs Filmen nicht die Hauptrolle, seine Filme sind verstörend genaue Momentaufnahmen von normalen Biographien, Busnachbarn vielleicht, deren Schicksal einerseits unaufdringlich, andererseits so tragisch, wahr und detailgenau erzählt wird, daß die Figuren einem so nahegehen wie engste Freunde. Hongs Bilder wirken nach, die Spaziergänge durch die Straßen der etwas unwirklichen koreanischen Großstädte werden zur permanenten Verlängerung seiner Filme. Vielleicht ist dieser Blick die besorgniserregende déformation professionelle nach zuviel Kino in einem unbekannten Land. Aber für Kinosüchtige gibt es eben kaum ein schöneres Erlebnis als Filme, mit deren Hilfe man das Alien-Gefühl am anderen Ende der Welt überwinden kann.