Schwermut am Barren, Tränen in New York

■ In Bonn wurde der Deutsche Kurzfilmpreis an Spiro N. Taraviras' „Sunset in Venice“ vergeben

Die Bezeichnung Vorfilm gilt dem Kurzfilmer als Schimpfwort: Die filmische Miniatur ist ein eigenständiges Kunstwerk, auch wenn es noch so oft im Schlepptau des abendfüllenden Spielfilms schippert. Wie bei der Verleihung des vom Innenministerium vergebenen Deutschen Kurzfilmpreises in der Bonner Bundeskunsthalle zu hören war, ist das Genre wieder im Aufwind. Astrid Kühl von der Kurzfilm-Agentur Hamburg sah das so und auch Katharina Wolkenhauer, die die Preisverleihung moderierte. Die komprimierte Form eignet sich als Experimentierfeld und gilt als Einsteigermedium für künftige Spielfilmregisseure.

Acht Filme waren für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert, eine ganze Reihe davon in erstaunlich ähnlicher Tonlage: in halluzinatorisch-dräuender Schwermut. So ließ Vuc Jevremovic einen von Rilke inspirierten „Panther“ als ins Vage diffundierende Animationsfigur die Welt hinter Stäben betrachten und dabei vom Baumidyll in Afrika träumen. Robert Krauses schöner Sportler darf sich in pathetischen Lichteffekten um den Barren schrauben – bis zum Absturz, der ihn in den Rollstuhl zwingt („Der Sieg“). Aus dem versucht er sich heldengleich erneut zu erheben. In Florian Hoffmeisters „Stimmen der Welt“ ist ein Einsamer aus New York auf der Suche nach seinem noch einsameren Vater in Berlin. Eine Begegnung, die ohne Worte, aber stumm ergreifend in Tränen endet.

Mirjam Kubescha erzählt in schwarzweißer Poesie von einem Mädchen, das in einem nicht näher benannten Krieg auf der Flucht in ein neues Leben geliebte Gegenstände zurücklassen muß („Inside the Boxes“). Benjamin Herrmanns „Der große Lacher“, ein Film über einen erfolglosen Komiker, endet gar mit dem Selbstmord des Protagonisten. Vom großen Lachen kann also bei den nominierten deutschen Kurzfilmen nicht die Rede sein. Übrigens auch nicht vom großen Sprechen, denn die meisten Werke verließen sich weitgehend auf die stumme Kraft der Bilder, ergänzt durch Toneffekte und Musik. Zu den Ausnahmen gehört da ausgerechnet der Gewinner des Filmbandes in Gold (Prämie rund 60.000 Mark). „Sunset in Venice“ von Spiro N. Taraviras. Hier wird, in trickreichen verbalen Volten, über Lug und Trug philosophiert. Der schöne Sketch spielt in Venedig: Hauptdarsteller ist ein schöner alter Mann, Massimo Girotti.

Mit nur zwei Worten, „oui“ und „non“ kommt Manfred Begers „Les Pastilles“ aus (Filmband in Silber: rund 40.000 Mark), in dem es um die Abwege einer Frau und die vergeblichen Racheaktionen ihres Mannes geht. Bei Beger wie Taraviras tritt eine handfeste Pointe zutage, die eindeutig im Erzählerischen liegt; bei allen prämierten Filmen ist nur am Vor- und Abspann abzulesen, daß es sich um deutsche Produktionen handelt: Beim Gewinner führt die Reise nach Italien, bei Beger nach Südfrankreich, und beim dritten mit Silber geehrten Film werden wir zu Zeugen einer dokumentarisch fixierten nordbulgarischen Hochzeit auf dem Lande („Ziganska Musica“). Spürbar war ein Hang zur Folklore und zur unspezifischen Ferne. Der Blick nach Deutschland schien die Kurzfilmer wenig inspiriert zu haben, vielleicht aus Langeweile daran. Marion Löhndorf