Nicht jeder kriegt etwas geschenkt

■ Rot-Grün: Mini-Jobs werden versicherungspflichtig, junge Leute bekommen Zahnersatz von Krankenkasse mitbezahlt

Damit mehr Geld in die Sozialkassen kommt, will die rot-grüne Koalition die 620-Mark- beziehungsweise 520-Mark-Jobs abgabenpflichtig machen. Es werde jedoch Sonderregelungen, etwa für Studenten geben, erklärte die designierte Familienministerin Christine Bergmann. Am Ende könnten etwa 85 Prozent dieser geringfügigen Jobs sozialversicherungspflichtig werden.

Wie genau die Sozialversicherungspflicht aussehen soll, ob nur Renten- oder auch Krankenkassenbeiträge mit abgezogen werden, war gestern nicht klar. Spätestens bis zum 18. Dezember muß ein Kabinettsbeschluß zum Thema vorliegen. Dann müßte nämlich, wie jedes Jahr, die Geringfügigkeitsgrenze für 1999 erhöht werden.

Bisher arbeiten schätzungsweise rund sechs Millionen Beschäftigte in sozialversicherungsfreien Jobs. Dabei dürfen sie höchstens 620 (Osten: 520) Mark verdienen. Diese Jobs werden vom Arbeitgeber pauschal mit 20 Prozent versteuert. Die Frage stellt sich also, ob eine höhere Abgabenpflicht künftig zu einer Verteuerung dieser Jobs beim Arbeitgeber oder zu einer Minderung des Lohns bei den Beschäftigten führt. Möglich wäre auch, diese Jobs von der Pauschalversteuerung freizustellen und dafür Sozialversicherungsbeiträge einzuziehen.

Die Grünen-Vorstandssprecherin Gunda Röstel erklärte gestern, auch Scheinselbständige sollten künftig in die Versicherungspflicht einbezogen werden. Unter „Scheinselbständigen“ versteht die Rechtsprechung in der Regel Erwerbstätige, die nur für einen Auftraggeber tätig sein dürfen und dessen konkreten Anweisungen unterliegen. Wird ein Selbständiger von einem Betriebsprüfer als „Scheinselbständiger“ enttarnt, wird er auch heute schon sozialversicherungspflichtig. In der Vergangenheit gab es schon Gesetzesinitiativen, alle Selbständigen, die nur für einen Auftraggeber tätig sind, der Versicherungspflicht zu unterwerfen.

Die von SPD und Grünen angemahnte Erhöhung des Wohngeldes wird auch 1999 nicht kommen. Wohngeld und Mietrecht sollen erst im Laufe der vierjährigen Legislaturperiode reformiert werden.

„Die Gesundheitspolitik soll sozial gerecht sein“, formulierte Gunda Röstel als Leitsatz einer rot-grünen Politik. Auch in Zukunft würden Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen die Kosten für das Gesundheitssystem tragen. SPD und Grüne trauen sich zu, die Kosten im Gesundheitswesen zu begrenzen. Zum 1. Januar 2000 wollen sie ein Gesundheitsstrukturreformgesetz vorlegen.

Nach dem, was gestern bekannt wurde, ähnelt diese Reform sehr dem „Sofortprogramm zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in den Krankenkassen“, welches die SPD bereits vor zwei Jahren dem Bundestag vorlegte, das aber damals kein Gehör fand. Künftig soll ein Globalbudget für sämtliche Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt werden. Anders als die vorherige Regierung ist die neue der Auffassung, die Kosten im Gesundheitswesen nicht durch steigende Selbstbeteiligungen der Versicherten zu begrenzen, sondern die Ausgaben insgesamt zu deckeln.

Andrea Fischer (Grüne), die als mögliche Gesundheitsministerin genannt wird, sagte zur taz, mit dem Globalbudget sei erst im übernächsten Jahr zu rechnen. In einem ersten Schritt soll durch ein Sicherungsgesetz in der gesetzlichen Krankenversicherung eine „sektorale Kostendeckelung“ eingeführt werden. Damit sollen getrennte Grenzen der Ausgaben für Ärzte, Krankenhäuser und Arzneimittel gesetzt werden.

Bereits der amtierende Gesundheitsminister versuchte Mitte der 90er, die Ausgaben für Arzneimittel zu budgetieren. Der Versuch scheiterte, da einzelne Ärzte zuviel verschrieben. Die Budgetüberschreitungen blieben für die Ärzte folgenlos; Seehofer konnte die kollektive Haftung nicht durchsetzen.

Das Notopfer (jährlich 20 Mark) zum Erhalt der Krankenhäuser will die künftige Koalition ersatzlos streichen. Die Finanzierung der Krankenhäuser soll neu geregelt werden. Die Koalition einigte sich auf eine sogenannte monistische Finanzierung. Schon vor den Koalitionsgesprächen hatte die SPD darauf gedrungen, Kliniken künftig ausschließlich von den Krankenkassen finanzieren zu lassen und nicht mehr gemeinsam von Kassen und Ländern.

Auch junge Patienten, die nach 1978 geboren sind, sollen künftig Zahnersatz auf Kosten der Krankenkasse erhalten. Abgeschafft werden sollen die Festsätze der Krankenkasse beim Zahnersatz. Die neue Regierung will wieder das Sachleistungsprinzip einführen.

Hausärzte sollen in ihrer Position gestärkt werden. Mehr als bisher sollen sie sich als Schnittstelle zu Kliniken und Fachärzten profilieren. Einig sind sich rot-grüne Gesundheitspolitiker, daß eine Positivliste erstellt wird. Sie soll regeln, welche Arzneimittel im Leistungskatalog registriert sind. Fraglich ist, ob auch Naturheilmittel dazuzählen. Bereits zum 1. Januar 1999 sollen chronisch Kranke und ältere Patienten bei der Medikamenten-Zuzahlung entlastet werden. Beträge wurden gestern aber nicht genannt.

Barbara Dribbusch

Annette Rogalla