Umkämpftes Brachland

Am Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofs scheiden sich die Geister: Soll das Areal für Sport und Kultur genutzt werden oder ist es ökologisch zu wertvoll?  ■ Von Martin Reichert

Die ruinöse Finanzsituation des Berliner Senats ist ein wahrer Segen für die Umwelt. Das gilt zumindest für die Grünflächen am ehemaligen Anhalter Bahnhof: Die geplante Bebauung des somit bedrohten Biotops scheitert erst mal am Haushaltsloch.

Rund um das bekannte Portal des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bahnhofs plant das Bezirksamt Kreuzberg eigentlich, einen Sportplatz zu bauen, in den nächsten fünf Jahren wird jedoch höchstens auf der Wiese gebolzt werden, denn Geld ist erst mal keines da. Der geplante Neubau des Tempodroms auf der bewaldeten oberen Fläche des ehemaligen Personenbahnhofs liegt aufgrund der ungeklärten Finanzierung ebenfalls in ferner Zukunft. Die zum Umzug gezwungenen Betreiber werden daher vorübergehend ihre Zelte auf der unteren Wiese aufschlagen.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sähe es gerne, wenn das genau so bleiben würde: am Portal das Tempodrom, umgeben von Spielplätzen, während die mit Bäumen und seltenen Gräsern bewachsene Hochfläche als Parkanlage erhalten werden kann.

Der Bebauungsplan des Bezirksamtes von 1995 sieht allerdings anders aus: Der untere Teil soll ganz einem großzügig dimensionierten Sportplatz mit Umkleidekabinen weichen, der obere Teil zu vier Fünfteln mit dem Tempodrom bebaut werden, der Rest darf als Parkanlage bleiben. Da kann auch die Leiterin der Naturschutzbehörde des Bezirksamtes Kreuzberg, Birgit Beyer, nichts machen: „Ich finde es aus fachlicher Sicht falsch, wenn die Bäume gefällt werden, aber der Bebauungsplan steht nun mal.“ Das einmal geschaffene Baurecht nun wieder umstoßen könnte nur die Senatsverwaltung, indem sie die Fläche unter Naturschutz stellen würde. Allerdings orientiert man sich dort hauptsächlich an der sogenannten roten Liste der bedrohten Arten, die das Biotop am Anhalter Bahnhof nur bedingt vorweisen kann. Zwar wächst dort unter anderem das Tatarische Leinkraut, die stark wachsende Rupinienbewaldung raubt diesen Pflanzen jedoch zunehmend das Licht. Birgit Beyer hat da einen anderen Blickwinkel, sie kann sich der Faszination dieses postindustriellen Biotops nicht entziehen. „Nach Urlandschaft, Landwirtschaft und industrieller Nutzung ist hier eine Kultur der vierten Art entstanden“, meint Beyer.

Was den Erhalt betrifft, bleibt sie dennoch pessimistisch. Ob das Tempodrom nun seine Finanzierung auf die Beine bekommt oder nicht, das Wäldchen wird früher oder später einer kulturellen Einrichtung bebauungsplangerecht zum Opfer fallen, und wenn es „Holiday on Ice“ sein wird.

Müßig, die Frage nach einer eventuellen Änderung des Bebauungsplanes zu stellen, findet es auch ihr Kollege Rudolf Hellmann, Stadtplanungsamt-Leiter in Kreuzberg. „Die Gemeinde hat entschieden und den unterschiedlichen Belangen Rechnung getragen.“ Es stimme zwar, daß sich der Sport mit seinen Interessen gegenüber „grünen“ Vorstellungen durchgesetzt habe, weil der Bedarf einfach dringender war, aber ganz gegen die Natur habe man schließlich nicht gearbeitet.

Mit den Resten allerdings will sich der BUND nicht zufriedengeben. Die Biologin Marlies Hannah hat erst letzten Monat eine Führung durch das Gelände veranstaltet. Ihr schwebt vor, die gesamte Hochfläche als eine Art pädagogischen Park zu erhalten. Die empfindlichen Teile durch Zäune geschützt, soll der Besucher mit Hilfe von Hinweistafeln ein Stück Natur in der Großstadt erfahren. „Die Leute wissen, was das Tempodrom ist, und können die einfachsten Pflanzenarten nicht erkennen“, meint Hannah. Die wenigen Grünflächen in Berlin seien ohnehin notorisch überlastet. Wenn sich an einem schönen Tag 8.000 Menschen am Flughafensee Tegel herumdrückten und womöglich ihren Hund Gassi führten, sei das ökologisch untragbar.

Ökologisch und ökonomisch gesehen könnte am Anhalter Bahnhof übrigens eine Zeitbombe ticken: Inwieweit dort Altlasten auf die Baufirmen warten, ist noch nicht geklärt.