Telebingo für den Lottoaufschwung Ost

Einst gehörte das volkseigene Lotteriewesen zu den effizientesten Wirtschaftsbranchen in der DDR, denn die darbenden Bürger labten sich oft an den Freuden bescheidener Zockerei. Die Spiellust war rege, die Gewinnchancen reglementiert. Weil es im Sozialismus keine Millionäre geben durfte, gab es als Hauptgewinn maximal 500.000 Mark.

Mit der Wende fiel freilich auch diese Grenze – und die neueste Maxime lautet: Von Amerika lernen heißt spielen lernen. Zum Beispiel Bingo. Sogar eine gemeinsame Bingo- Website von 50 indianischen Stämmen gibt es da, wie das fahrende Lottogesellschaftsvolk aus den deutschen Ostländern auf einer „Erfahrungsreise“ feststellte. Und spätestens, als die eastgerman Lotto-Lobbyisten erfuhren, daß sich die Nordamerikaner ihr Recht auf Bingo teilweise mit Volksentscheiden erstritten hatten, müssen sie sich wohl der 89er Wir-sind-das- Volk-Seligkeit erinnert und von einer neuen glücksverheißenden Wende geträumt haben. TeleBingo für den Glücksaufschwung Ost!

Ab heute wird es jeden Samstag um 17.30 Uhr in den Dritten Programmen der ostdeutschen ARD-Anstalten (MDR, ORB, B1) ausgestrahlt. Die Pilotsendung deutet an, was einen in den 30 Minuten erwartet: „Viel, viel Geld. Das ist so unglaublich, wie wenn Bill Clinton treu bleibt oder Verona Feldbusch die ,Tagesthemen‘ moderiert.“ Außerdem ist TeleBingo die Fortsetzung des TV-Lottos der DDR mit anderen Mitteln (Westgeld). Das Konzept der Lotterieauslosung mit Häppchen-Unterhaltung jedenfalls kennen Ex- DDRler noch vom legendären sonntäglichen Tele-Lotto.

Daß TeleBingo ebenfalls ein Erfolg wird, steht für Henning Röhl, Fernsehdirektor des federführenden MDR, fest. Trotz der fast parallel laufenden Sat.1- SKL-Show „Gottschalk kommt“ erwartet Röhl langfristig 10 Prozent Quotenanteil – schließlich folgen die treuen MDR-Zuschauer ihrem Sender fast überall hin. Zudem ist anderweitiger Gelderwerb im Osten vielen verwehrt, weshalb sich der sächsische Finanzminister nicht lange bitten ließ, der für TeleBingo notwendigen Änderung des Landeslottogesetzes fix zuzustimmen.

Den Schritt ins Fernsehen machten die beteiligten Lottogesellschaften nicht zuletzt aufgrund der großen Bingo-Akzeptanz in den Boulevardzeitungen. „Als Lottogesellschaften waren deshalb wir gefordert, auf den Zug aufzuspringen“, meint der sächsische Lotto-GmbH-Chef Michael Fendel. Zielbahnhof wurde das Landesfunkhaus Magdeburg, wo je 75 Bingo- Freaks live auf- und mitkreuzen.

Die Show, bei der man das 50.000fache des 5-Mark-Einsatzes herausholen kann, hat aber auch einen programmatischen Anspruch: Sie soll, so Röhl, ein „wichtiges Unterhaltungselement in unseren Dritten Programmen“ werden. Und ein Exportschlager aus dem Osten. Übernahmeverhandlungen liefen bereits, und der MDR-Mann hofft, „daß andere Sender die TeleBingo-Familie bald vergrößern werden“. Der Westen als Beitrittsgebiet? Im Fernsehen ist alles möglich. Gunnar Leue