Erntedankfest der Bücherbranche

■ Heute abend wird in Frankfurt am Main die 50. internationale Buchmesse eröffnet. Themenschwerpunkt in diesem Jahr ist die Schweiz. Das ganze Geheimnis der Megaveranstaltung lautet: mehr, schneller, globaler. Frankfurt ist der Ort, an dem Kultur in Quantität umschlägt

Die Buchmesse war ein Erfolg. 200 Verlage aus Deutschland und ein paar aus Frankreich zeigten in der Paulskirche und im Frankfurter Römer rund 10.000 Bücher. Der Berichterstatter der FAZ fühlte sich „von Büchern verfolgt“ und führte darüber Klage, was „auf der Netzhaut und im Kopf des Besuchers angerichtet werde“. Das war 1949, im Postkutschenzeitalter des Marktes. Schön war's.

1998, zur 50. Frankfurter Buchmesse, die heute abend offiziell eröffnet wird, gehört die Klage über wahnwitzige Größe und aggressive Unübersichtlichkeit längst zum festen Ritual. Alle gehen hin, aber alle tun es scheinbar widerstrebend und sehnen sich nach kommunikativer Kuscheligkeit. Doch die kann es nicht geben, wenn sich auf der weltgrößten Buchmesse 6.758 Verlage aus 107 Ländern versammeln, darunter 2.434 Aussteller aus Deutschland. Das sind insgesamt 1,2 Prozent und bei den deutschen Ausstellern gar 4 Prozent weniger als 1997. Dafür hat aber die Zahl der Neuerscheinungen von 79.856 auf 86.466 erneut zugenommen. Weniger Verlage produzieren also mehr Bücher. Kein Wunder, bei den auch die Buchbranche beherrschenden Fusionen.

In dieser Masse einen „verbindlichen Trend“ auszumachen, hält selbst Messedirektor Peter Weidhaas für unmöglich. Was machbar und verkäuflich sei, werde auch verwirklicht. Das ist das ganze Geheimnis. Mehr, schneller, globaler: Frankfurt ist der Ort, an dem Kultur in Quantität umschlägt und sich darin aufhebt. Was hier zählt, sind die Zahlen. Die Messe ist dabei allerdings an eine Grenze vorgestoßen, an der weiteres Wachstum nicht mehr als Erfolg, sondern als Krisensymptom begriffen wird. Das Mehr an Titeln erzwingt eine erhöhte Durchlaufgeschwindigkeit der Bücher. Die, die auf der Messe gezeigt werden, sind zwar gerade erst erschienen, aber schon besprochen und erledigt, obwohl sie zum Teil noch nicht in den Buchhandlungen sind und die meisten auch nie dorthin gelangen werden. Innerhalb weniger Monate müssen sie „abverkauft“ sein, sonst wandern sie in den Ramsch.

Die Buchmesse ist eine Art inoffizielles Erntedankfest der Branche. Es bedient religiöse Restbedürfnisse und entspringt einem antiquierten Zeitgeist der 50er Jahre, der die produzierte Überfülle schamlos zur Schau stellen möchte. Doch wichtiger als die Gegenwart, die sowieso schon gelaufen ist, sind die Programme der nächsten Jahre, die im hart umkämpften Geschäft mit internationalen Lizenzen im „Scout-Center“ ausgedealt werden. Dort werden in wenigen Tagen Milliarden umgesetzt – auch wenn das Geschäft mit den Rechten längst ganzjährig und „global“ verläuft. Frankfurt, so Peter Weidhaas, biete seinen Markennamen und sein Know-how und etabliere sich im Lizenzgeschäft der Zukunft als „übergeordneter Knoten“.

Der Konkurrenzdruck zwingt die Verlage dazu, immer mehr Titel zu produzieren – unabhängig davon, ob es auch wirklich substanzhaltige Angebote gibt. Gleichzeitig sinkt die durchschnittliche Auflagenhöhe, da es immer weniger zentrale Themen von allgemeinem Interesse gibt. Gelegentlich einen Bestseller mit Hunderttausenderauflage zu landen, ist deshalb überlebenswichtig, und die Verlage, die es sich leisten können – allen voran Bertelsmann mit seinen zahlreichen Tochtergesellschaften –, bieten astronomische Summen in Millionenhöhe, um die deutschen Rechte für zumeist angloamerikanische literarische Massenware zu erwerben. Wer nicht mitbietet, ist raus aus dem Geschäft und muß sich zur Strafe um deutsche Nachwuchsautoren und introvertierte Lyriker kümmern. Er hat auch im lukrativen Geschäft mit den Nebenrechten für Taschenbücher, Übersetzungen, Film und TV die schlechteren Karten.

Als besonders wirkungsvolles Marketinginstrument gelten seit 1976 die Themenschwerpunkte, die fast immer Länderschwerpunkte sind und Gelegenheit zur touristischen Eigenwerbung mit kulturellen Mitteln geben. In diesem Jahr ist die Schweiz Gastland und wirbt auf Plakaten mit fahnenschwingenden Älplern auf der Alm und mit dem Motto „Hoher Himmel, enges Tal“.

Weil man gut eidgenössisch klotzt, anstatt zu kleckern, bescheidet man sich nicht mit einem traditionellen Pavillon als Ausstellungsort, sondern hat gleich eine ganze Halle zur Schweiz erklärt. 6 Millionen Franken ließ man es sich kosten, alles, was schreiben kann und einen Schweizer Paß besitzt, in Frankfurt zu versammeln. Zur Eröffnung sprechen neben Bundespräsident Flavio Cotti gleich fünf Schweizer AutorInnen (Sylviane Dupuis, Fabio Pusterla, Ruth Schweikert, Leo Tuor und Ibrahim al-Koni), die politisch höchst korrekt die vier Sprachzonen des Landes nebst den in der Schweiz lebenden Ausländern repräsentieren sollen. Nicht nur die FAZ spöttelte bereits, was um Himmels willen man mit über hundert Schweizer Autoren anfangen soll. Jörg Magenau