Die Natur schaut aus Pferdeaugen zurück

In seinem neuen Film „Der Pferdeflüsterer“ inszeniert sich Robert Redford mit tiefen Falten als eine Art Catherine Deneuve der amerikanischen Prärien. Gemessen am aktuellen US-Mainstream ist das Gefühlsdrama um Gäule und Traumata fast schon Filmkunst  ■ Von Richard Stradner

„Dieser Film beginnt mit einem großen Konflikt und einer Verletzung und endet in Frieden. Doch auch wenn dieser Frieden von einer Traurigkeit begleitet ist, so ist es noch immer ein Frieden, der weit über ein Verstehen hinausführt.“ Mit diesen Worten umreißt die Filmzeitschrift Hollywood Jesus Robert Redfords jüngsten cineastischen Beweis dafür, daß sich Mainstream auch in den Neunzigern noch mit Menschenfreundlichkeit und Naturbewußtsein verbinden läßt.

Da schaut die Kamera den Schauspielern und ihrem Pferd zwei Stunden und vierundvierzig Minuten lang so eindringlich in die tränenbereiten Augen, daß noch der hartgesottenste Zuschauer Lust auf hemmungsloses Mitheulen bekommt. In diesen kargen, von herbstklarem Licht durchfluteten Prärien Montanas!

Hier ist „Zivilisation“ ein Fremdwort und „Großstadt“ der Inbegriff von Neurose und Umweltverschmutzung, hier wird das Handeln nie zur action, hier gibt es Gefühle und sonst nichts.

Gemessen am restlichen aktuellen US-Kino könnte man fast schon von Filmkunst sprechen, wäre da nicht dieses maßlose Schwelgen in Naturpanoramen und betroffenen Gesichtern, das zwischen David Thoreaus naturphilosophischem Werk „Walden“ und den Waltons aus dem Vorabendprogramm keinen Trennungsstrich zieht.

Eigentlich läßt sich Robert Redfords „Pferdeflüsterer“ als konsequente Fortsetzung von Sidney Pollacks „Elektrischer Reiter“ aus dem Jahr 1979 begreifen. Darin kidnappte der zivilisationsgeschädigte Großstadtcowboy Redford seinen nicht minder erkrankten Gaul, um ihn von der Rodeobühne in die Wildnis zu entlassen. Beide wollten sie in der freien Natur wieder zu sich finden. Damals folgte ihm Jane Fonda als sensationslüsterne Fernsehjournalistin, die am Lagerfeuer bei Bohnen und Kaffee ihre moralische Integrität wiedererlangte. Sie kehrte erleuchtet in die Abendnachrichten zurück, Redford blieb in den Bergen.

Knapp zwanzig Jahre danach besucht den mittlerweile verheirateten und seßhaft gewordenen Ranger eine New Yorker Redakteurin (Kristin Scott Thomas) mit Tochter (Scarlett Johansson) und Pferd. Beide leiden nach einem Reitunfall an einem Trauma, das er ihnen ausreden soll. Denn er, der Ranger Tom Booker, gilt als Pferdeflüsterer, und das ist, wie Redford es ausdrückt, „einfach eine bestimmte Art, mit Pferden umzugehen, auf der Basis von Verständnis und Mitfühlen“.

Daß das mit dem Unfalltrauma schließlich erledigt ist und Grace ihren Pilgrim wieder reiten kann, ist klar. Wie allerdings die sich anbahnende Romanze zwischen Anna und Tom ausgeht, gehört zu dem bißchen Spannungsbogen, den das Drehbuch nach dem gleichnamigen Bestseller von Nicholas Evans zu bieten hat, und soll nicht verraten werden.

Auf jeden Fall kommt es am Schluß zu jenen, die amerikanische Weite segnenden Aufnahmen aus dem Helikopter, die das Heimweh der Seßhaften ein letztes Mal bekräftigen. Dieses ewige frontier feeling, das von den Filmen John Fords bis zu „Lucky Luke“ das Wesen aller guten Western ausmacht, wird man als Nicht-Amerikaner zwar niemals ganz begreifen können, aber es ist immerhin schön anzuschauen.

Robert Redford spielt zum ersten Mal unter eigener Regie und inszeniert sich als eine Art Catherine Deneuve des amerikanischen Kinos: jede zweite Großaufnahme gilt (gleichwertig zum Pferd) ihm, so daß man bald jede seiner Falten der Reife einzeln voneinander unterscheiden kann. Daneben teilt er mit der französischen Kollegin noch den ausgeprägten Hang zur stoischen Sprechfaulheit, die bei Menschen über fünfzig meist besagen soll, daß sie zu sich selbst gefunden haben.

Der Rest ist Gefühlskino, wie man es seit den Tagen von „Kramer gegen Kramer“ oder „On Golden Pond“ kennt, und das der Sundance-Initiator Redford mit seinem Regiedebüt „Eine ganz normale Familie“ 1980 auf recht würdevolle Weise fortgesetzt hat. Und so wie der Schauspieler Robert Redford einst seine Regisseure dirigierte, scheint sich der Regisseur Robert Redford auch voll und ganz auf die Talente und den Ausdruckswillen seiner Akteure einzulassen. Was allerdings auch mit sich bringt, daß er seinem Pferd eine leicht verschwommene subjektive Einstellung zugesteht, in der die Natur sozusagen zurückschaut.

Die Rückbindung an die Natur über die Kreatur, die der Film so ausschweifend predigt, ist dann einen irritierenden Moment lang auf höchst humanistische Weise vollzogen. Diese Humanismus-Variante ist es eben, die den Film streckenweise so anstrengend macht. Die schauspielerischen Anstrengungen sind den Film aber allemal wert.

„Der Pferdeflüsterer“, nach dem Roman von Nicholas Evans. Regie: Robert Redford. Buch: Eric Roth und Richard LaGravenese. Mit Robert Redford, Kristin Scott Thomas, Scarlett Johansson, Sam Neil, Dianne West u.a., USA 1998, 164 Minuten