„Das wird böse enden!“

■ „Les Robespierres“ und „Chung“ im „Römer“

Viele wissen heute nicht mehr, was sie waren, als sie ihren Stempel bekamen und ein selbstständiges Leben begannen. In den 90ern konnte niemand noch in Ruhe jung sein. Manche waren heimlich vor dem Spiegel „Hardcore“, enttäuscht davon, daß „Punk“ keine Kunstrichtung war und andere waren nur sie selbst, machten Musik und scherten sich vor allem einen Dreck um „Spex“ und Zeitgeist. „Wehrschloß builds Character“ konnte man vor einigen Jahren auf T-Shirts lesen, als alle Touren in Norddeutschland noch um das kleine Freizi in Hastedt herum gebucht wurden. Diese Zeiten sind vorbei, aber die Spuren der „SubPop“ und „AmpRep“-Bands sind kaum zu übersehen. Niemand ist je Grunge gewesen, es gab keine Grunge-Fanzines, überhaupt war Seattle nur ein Irrtum, dann schon lieber „Hardcore“. Heute sagt man wieder „Punk“, manchmal mit „Garage“ davor, aber es ist auch egal. Auf der Bühne und davor stehen die gleichen Typen, aber alle sind etwas älter.

Eine Menge dieser Leute waren gekommen, um am Freitag abend „Chung“ zu sehen, deren Auftritte in letzter Zeit für reichlich Gemurmel hinter vorgehaltener Hand gesorgt haben. Auf der „Popkomm“ ließen sie allerhand Bands im Regen stehen, die allesamt „The Sowieso Babies“ hießen und irgendwelche Rock-Shows spielten, gegen deren Attitüden einst der Punk erfunden ward. Zwei Gitarren und ein Schlagzeug deckten das „Römer“ mit schnellen Schlägen ein, daß jeder zufällig anwesende A & R-Manager sofort seine Chefetage aus dem Bett geklingelt hätte.

Danach waren die Hamburger „Robespierres“ an der Reihe, deren Songmaterial in portugiesisch verfaßt ist und allerhand sozialkritische Alltagsgeschichten enthalten soll. Vor dem ersten Akkord wurde das Publikum aber zunächst ein wenig beleidigt, zum Klatschvieh degradiert und zum Auf- und Abmarschieren in Zweierreihen animiert. Dabei wähnte man die Schranke zwischen Publikum und Band längst aufgelöst und wollte dann zumindest unterhalten werden, wenn sie wieder aufgebaut wurde.

„Les Robespierres“ gaben internationale Tanzmusik, die jedem Goethe-Institut förderungswürdig erscheinen müßte. Aber schon wieder suchte die Band Streit mit unlustigen Sprüchen und wollte den BremerInnen an den berüchtigten Lokalpatriotismus.

Diese verfielen aus Bosheit in rudimentäres Punker-Verhalten („Schneller, lauter, härter“, „mehr Rock für's Geld“, „ihr habt alle Abitur“, „ausziehen, ausziehen“ usw.). Besonders den Vorwurf des Abiturs wollten die „Robespierres“ aber nicht auf sich sitzen lassen und zerrten DJ Guido Bolero, den vordersten Schreihals, vor's Mikrophon. Bolero bohrte den Dolch noch tiefer und animierte das Publikum zu „Diskurs, Diskurs“-Chorälen.

Da wurden die Hamburger säuerlich, meinten lahm, daß sie sowas schon vor zehn Jahren gehört hätten, und der Rest ihres Sets wurde nur noch durch eine längere Pause unterbrochen, die dem ganzen Rumpelbeat mit Orgel einen altbackenen Hauch verlieh, der von der Inszenierung her nur ein kokett analoger Griff in die ästhetische Mottenkiste sein sollte, aus der sie schon ihrem Bandnamen vor sich her tragen. Die Hamburger Aristokratie der Armut ist auch nicht jünger geworden. Eigentlich hatten sie Glück, daß niemand „Goldene Zitronen für Arme“ gerufen hat, und es wäre auch nicht so gemeint, aber trotzdem ganz lustig gewesen. Diese Hamburger, verstehen einfach keinen Spaß!

Tommy Blank, Sondersound-ermittler