Hauptsache unterwegs

Hell's Angels gelten vielen Menschen als brutale Motorradrocker. In Deutschland sind sie sogar offiziell als „kriminelle Vereinigung“ verboten. Trotzdem feiert an diesem Wochenende der größte Motorradclub der Welt in Berlin in aller Öffentlichkeit seinen 50. Geburtstag. Die Veranstalter wollen mit Fete und Fotoausstellung vor allem eines beweisen: Wir sind ganz anders. Ein Prüfbericht  ■ von Christian Haase

Nach einem Surren springen die Glühbirnen hinter dem Schild am Quartier der Hell's Angels an: „Angelplace“. Licht fällt auf die Videokamera, die Fenstergitter und das Sicherheitsglas, mit denen das rote Haus im Berliner Bezirk Moabit gesichert ist.

An der Fassade lehnt eine Leiter, unten steht ein Mann. Er heißt Micha, trägt schwere goldene Ringe, Cowboystiefel, den Angels-Totenkopf hinten auf der Lederjacke und vorne das Abzeichen „Vize- President-Berlin“. Leutselig sagt er: „Der da oben an dem Schild werkelt, ist mein Vater, der macht hier die Elektrik. Und meine Mutter wäscht die Tischdecken.“

Michas Eltern helfen vor der großen Feier ein bißchen beim Hausputz. Mutter, Vater, Hell's Angels. Das gefällt den Bikern. Schwere Jungs, brave Jungs. „Wir kommen öfters her“, sagt Michas Mutter, „es ist immer so gepflegt hier.“

Nicht nur Tischdecken und Glühbirnen, auch die Fassadenfarbe ist frisch. Neben dem Haus steht noch das Malergerüst. Die acht „Brothers“ der Berliner Abteilung des „Hell's Angels Motorcycle Club – Germany“ wollen ihr Haus zum Vereinsjubiläum herausputzen. Mehr als 300 Angels erwarten sie zu Parties, Motorradfahrten und Ausstellungen. Darunter auch „Brüder“ aus Dänemark.

Beispielsweise Jorn Jonke Nielsen. Er ist Mitte Dreißig und hat schon drei Biographien geschrieben. „Die erste handelt von meinem Leben bis zu dem Tag, als ich den Präsidenten der ,Bullshits' erschossen habe, die zweite von der Zeit auf der Flucht und die dritte von den Jahren im Knast. Seit wenigen Monaten führe ich nun mein viertes Leben.“ Und in dem will Nielsen nicht mehr für Krieg, sondern für Frieden in Skandinavien sorgen.

Was zählen da schon alte Verfehlungen? Im Knast gesessen zu haben ist für die Hell's Angels nicht ehrenrührig. Gegen den Kodex verstößt aber, wer gegen „Brüder“ aussagt. „Ich finde das korrekt, Sachen ohne die Polizei auszumachen“, sagt Micha. Auge um Auge, Mann gegen Mann, und wer Omas bestiehlt, kriegt auch was drauf. So sehen sich die Hell's Angels gerne: harte Schale, weiches Herz.

Was sie aber ärgert, ist, wenn sie als einfache Mörder, Drogendealer oder, fast am schlimmsten, „Mofafahrer“ tituliert werden. „Ein bißchen mehr Mythos ist schon angebracht“, sagt Micha. Seinen persönlichen Mythos hat er auf der Straße geparkt – in zweifacher Ausführung. Eine rote Harley Davidson, Modell „Softtail Evolution“ mit hohem Lenker, breitem Tank und lackierten Flammen, sowie eine blaue „FXR“ mit kurzem Lenker für die Langstrecken. „Ich mag die blaue nicht. Die rote klingt besser“, sagt seine Mutter. Micha, von Beruf Baggerfahrer, stimmt zu: „Ja, das muß richtig knattern und röhren.“

Ohne Harley ist ein Angel nichts. Sie ist die Eintrittskarte in den größten Motorradclub der Welt. „21 mußt du sein, mit beiden Beinen im Leben stehen und eine Harley haben“, sagen alle Engel. Nach einiger Zeit darf sich der Anwärter dann „Hangaround“ nennen, später „Prospect“. Zunächst muß der Frischling zeigen, daß er sich an den – proletarischen – Ehrenkodex hält: Ehrlichkeit, Treue. Wird jemand aufgenommen, darf er sich alle Clubembleme auf die Jacke nähen und sich die Buchstaben A.F.F.A. eintätowieren lassen: Angel Forever, Forever Angel. Ein langer Aufnahmeweg, den nur die Hälfte der Anwärter besteht.

Lutz aus Stuttgart hat es als einer der jüngsten zu einem der weltweit 1.200 „Brothers“ gebracht. Mit 22 Jahren war er schon dabei. „Vertrauen ist das Wichtigste“, sagt der mittlerweile vierzigjährige Harleyhändler. Auch er ein Missionar der Geschichte von den verkannten Höllenengeln, dafür ist er eigens nach Berlin eingeflogen. „Ein geiles Gefühl, wenn du von einem anderen Angel einfach den Wohnungsschlüssel kriegst und bei ihm wohnen kannst“, schwärmt er. Der Zusammenhalt stehe bei den Angels ganz oben.

Wenn ein Mitglied „Deals durchzieht“, sei das in erster Linie Privatsache. „Klar sind wir keine Waisenknaben, aber deswegen ist doch nicht der ganze Klub kriminell.“ „Brothers“ stehen zusammen und hauen sich nicht übers Ohr. „Ich will doch nicht mit Leuten zusammen sein, die mir die Wohnung ausräumen“, sagt Lutz.

Hell's Angels, in gut siebzig Ländern der Welt vertreten, wecken in Polizeikreisen Mißtrauen. Micha klagt: „Die denken, daß wir wie die Mafia funktionieren. Aber ich kann doch gar nichts machen. Schließlich habe ich doch immer mein Abzeichen auf dem Rücken.“

Die Überwachung schreckt ihn ab. Seit drei Jahren stehe die Polizei bei jedem Klubtreffen vor der Tür und filme das Geschehen mit. Apropos: Aus Polizeikreisen heißt es lapidar, die Gruppe habe zur Zeit keine Bedeutung. Angel Lutz glaubt trotzdem, daß sich das Verhältnis zu den Bullen nie ändern wird. „Konflikte mit denen gibt es, seit es die Hell's Angels gibt“, sagt er.

Schon der Gründungsmythos der Hell's Angels handelt von einer Randale: im Juni 1947 im kalifornischen Hollister. Ein Radioreporter berichtete an dem Abend: „Ich kann sie nicht alle zählen. Hundert, zweihundert. Dunkle Gestalten auf lärmenden Motorrädern. Seit mehreren Stunden halten sie die Hauptstraße in ihrer Gewalt. Vor ,Jimmy's Bar' sehe ich einen betrunkenen Burschen, der seine ,Indian' auf dem Hinterrad kreisen läßt. Einfach so. Seit fünfzehn Minuten. Andere wieder schlagen aufeinander ein. Sie lachen. Sie umarmen sich und prügeln weiter. Die Polizei ist machtlos gegen diesen Haufen. Hier herrscht Ausnahmezustand.“ Der Reporter fragt einen beteiligten Motorradfahrer: „Was ist hier eigentlich los?“ Zur Antwort bekommt er zu hören: „Das weiß ich nicht, Sir. Wir fahren ohne Ziele. Ziele sind was für Fruchtfarmer.“

Rebellen auf Motorrädern? Eine neue Bewegung, zusammengehalten von Freiheitsdrang und Liebe zu den Maschinen? Die Legende behauptet, daß wenige Monate später, im März 1948, fünf ehemalige Jagdflieger einer amerikanischen Bomberstaffel einen Klub gründeten. Sie waren alle Ende Zwanzig, fuhren schwere amerikanische Motorräder und langweilten sich ohne Krieg. Den Verein nannten sie nach dem Namen ihrer Staffel, den sie an den Rumpf ihrer B-17-Weltkriegsbomber gepinselt hatten: Hell's Angels.

Als melancholischer Anführer der Black Rebels brachte Marlon Brando 1953 in dem Film „The Wild One“ die Hollister- Episode in die Kinos. Mit dem Filmstart nahm sich die Polizei der Hell's Angels gründlich an. Denn die galten in Amerika inzwischen als Gefahr für die Jugend. Wegen der Verfolgung mußten sie immer neue Tricks ersinnen, um den Polizeiharleys zu entkommen. Die Angels begannen, das Gewicht ihrer Maschinen um bis zu zweihundert Pfund zu reduzieren, halb so große Tanks, fahrraddünne Vorderreifen, Vordergabeln mit überhöhten Lenkern, langgezogene Auspuffrohre. Das Herzstück: ein frisierter, chromglänzender Motor auf einem lackierten Rahmen. Nur die gesetzlich geforderten Extras blieben dran: zum Beispiel ein Rückspiegel, freilich nur so groß wie ein Zahnarztspiegel.

Vor einem Vierteljahrhundert, 1973, wurde die erste deutsche Angels-Abteilung in Hamburg gegründet. Von Anfang an gab es auch hier Ärger mit der Polizei. Die Vorwürfe: Körperverletzung, Schutzgelderpressung, Zuhälterei. 1983 wurden dreizehn Hamburger Hell's Angels bei einer der größten Razzien der Nachkriegsgeschichte festgenommen. Nach mehrjährigem Prozeß verurteilte sie ein Gericht zu Geld- und Haftstrafen. Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann ließ den Verein noch im selben Jahr verbieten. „Seitdem bewegen wir uns in einem rechtsfreien Raum“, kritisiert Lutz. „Ist das nicht schizophren? Natürlich gibt es uns.“

Eine Großrazzia haben auch die Berliner Angels schon hinter sich. Vor gut drei Jahren stürmten 334 Beamte den „Angel Place“. Hocko, Präsident der Berliner Angels, erinnert sich: „Wir waren zu fünft und hätten denen ja die Tür aufgemacht, aber die wollten durchs Fenster kommen.“ Eine der Fundsachen: Dolche mit SS-Abzeichen. „Daß wir Faschos sind, ist absoluter Bullshit“, sagt Hocko. „Wir haben weltweit Mitglieder aller Farben und Religionen. Und Nazizeichen waren früher Provokation bei den amerikanischen Angels. Doch das ist schon längst vorbei.“

Lutz aus Stuttgart pflichtet Hocko eifrig bei. „Da hat sich vieles geändert. Früher haben wir schockieren wollen“, heute zähle der gute Stil. „Wir sind heute echt multikulti“, beteuert Lutz. Und fordert das Recht, alle Hell's Angels der Multikultitruppe besuchen zu dürfen. Denn in vielen Ländern gilt für seinesgleichen Einreiseverbot. „Ich habe mir seit mehr als zehn Jahren nichts mehr zuschulden kommen lassen. Das Einreiseverbot verstößt gegen die Menschenrechte“, klagt Micha. „Eigentlich müßte sich amnesty international mal um uns kümmern.“