■ Claudia Noltes Fauxpas zeigt, was droht, wenn man Inhalte benennt
: Wer konkret wird, verliert

Hätte eine wiedergewählte Kohl-Koalition nach dem 27. September die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt heraufgesetzt oder nicht? Wir werden es wohl nie mit letzter Sicherheit wissen. Claudia Noltes gleichermaßen unbedachte wie unbedarfte Ankündigung und ihr gewaltiges Echo haben uns um die Gewißheit gebracht. Und das wohl gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen, weil jedenfalls diese Steuererhöhung nun ganz gewiß nicht mehr durchzusetzen wäre. Vor allem aber könnte die Familienministerin mit ihren Suhler Einlassungen endgültig dafür gesorgt haben, daß sich die Frage mangels Mehrheit der amtierenden Koalitionsparteien demnächst ganz einfach nicht mehr stellt: Für Steuererhöhungen werden nach der Wahl andere zuständig sein, und mit guten oder weniger guten Argumenten wird man dann aufs neue darüber diskutieren, ob sie notwendig und sinnvoll seien oder eben nicht.

Tatsächlich sind Steuersätze bei nüchterner Betrachtung ja weder Gewissens- noch Verfassungsfragen. Im Grunde eignen sie sich gerade dann nicht für den ganz großen politischen Richtungdiskurs, wenn es – wie gegenwärtig – nur um graduelle Unterschiede bei einer einzigen Steuerart geht. Nur befinden wir uns in der sogenannten heißen Phase des Wahlkampfs, und nüchtern betrachtet wird da von den Kontrahenten gar nichts mehr. Deshalb kann man die unglückselige Claudia Nolte angesichts ihres Mißgeschicks zwar bedauern, von Mensch zu Mensch gewissermaßen. Unter dem Gesichtspunkt professioneller Wahlkampfführung aber hat sie das Donnerwetter allemal verdient, das nun über sie hereingebrochen ist. Gleichsam ex negativo hat sie einen weiteren Beweis dafür erbracht, wie richtig die Sozialdemokraten mit ihrer bislang eisern durchgehaltenen Strategie liegen, sich um keinen Preis im Detail inhaltlich festzulegen oder festlegen zu lassen: Wer konkrete Zahlen nennt, hat schon verloren.

Nicht ohne Grund ist beklagt worden, diesem Wahlkampf fehle das Thema. Nun habe er am Ende doch noch eines, triumphiert ausgerechnet die SPD: die „neue Steuerlüge“ der CDU. Und ganz falsch ist das nicht, denn es stimmt ja, daß die Christdemokraten über ihre Steuerpläne lieber nicht so genau reden wollten.

Ein wirkliches „Thema“ aber könnte aus der Sache nur werden, wenn es der SPD um mehr ginge als um den Nachweis der Steuerlüge selbst. Doch dafür müßten die Sozialdemokraten ihrerseits konkret werden. Und dann erginge es ihnen wahrscheinlich nicht besser als Claudia Nolte. Tobias Dürr

Der Autor ist Politikwissenschaftler in Göttingen