„Keine Revolution in Sicht“

Atomkraftgegner demonstrieren für sofortige Stillegung des AKW Stade. Norddeutsche Grüne sind irgendwie auch dafür  ■ Von Heike Haarhoff

Der Landregen übertraf alle Wettervorhersagen, und trübe war die Stimmung: Mehrere hundert Anti-Atom-Bewegte aus Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein demonstrierten am Samstag in Stade für die sofortige Abschaltung des umstrittenen Reaktors Stade. Die Polizei, die beim „Norddeutschen Aktionstag“ 250 Demonstrierende zählte, begleitete die nach eigenen Angaben 500 Protestierenden mißmutig von der Innenstadt bis zum AKW.

Abgesehen von einer Auseinandersetzung über einen verschollenen Demo-Traktor, den die Polizei zunächst als artfremden Verkehrsteilnehmer der Stader Fußgängerzone identifiziert und an der Weiterfahrt gehindert hatte, verlief der Marsch ohne Zwischenfälle.

Der Atommeiler Stade, einer der ältesten in Deutschland, gehöre nicht erst nach dem Atomtransport-Skandal umgehend stillgelegt, forderten Umweltgruppen. AKWs seien so unwirtschaftlich wie gefahrenreich. Im Bemühen um den Ausstieg könne es jedoch zwischen Bürgerinitiativen und Parteien „nur ein Zweckbündnis geben“, erklärte Brokdorf-Kläger Karsten Hinrichsen vom Aktionskreis Stillegen sofort: „Parteien wollen Macht.“ Andererseits „sollten sich kleine Parteien überlegen, ob sie über eine Regierungsbeteiligung oder besser als Opposition ihre Interessen durchsetzen“, streute Hinrichsen, selbst Mitglied der schleswig-holsteinischen Grünen und Sprecher der dortigen LAG Energie, Salz in die Identitäts-Wunde, unter der viele seiner Parteifreunde leiden.

Seine Befürchtungen gegenüber der taz hamburg vom vorigen Freitag, selbst der Atomausstieg werde für die Grünen in einer rot-grünen Bundesregierung „verhandelbar“, standen denn auch im Mittelpunkt der „Grünen Strategiegespräche“ im Vorfeld der Demo. „Die Grünen“, widersprach am Samstag Monika Mengert, Sprecherin des Kieler Landesvorstands, „wollen deswegen an die Macht kommen, damit der Ausstieg verhandelbar wird.“ Silke Dibbern-Voß, Bundestagskandidatin für den Kreis Steinburg, warnte vor innerparteilicher Zerfleischung: „Wir behindern uns gegenseitig in der Anti-AKW-Bewegung.“ Energiewende und Atomausstieg stünden weiter „an erster Stelle“, bekräftigte Rebecca Harms, Fraktionschefin des Niedersächsischen Landtags. Doch sei „Sorgfalt“ geboten: „Wenn das Ausstiegsgesetz juristisch scheitert“, sei jede Aussicht auf Erfolg dahin.

Paul Grosse-Wiesmann, Sprecher der Hamburger LAG Energie, gab Hinrichsen insofern recht, „als daß wir nicht so naiv sein dürfen zu glauben, daß sich allein durch eine Bundesregierungsbeteiligung etwas ändert“. Für den Hamburger GAL-Abgeordneten Lutz Jobs kein Grund, den Parlamentarismus in Frage zu stellen: „Ich habe auf allen möglichen Gleisen gesessen“, gestand Jobs. „Öffentlich Druck“ habe das gemacht, „nicht aber einen Reaktor stillgelegt“. Weiterhin demonstrieren und trotzdem mitregieren schlössen einander nicht aus, zumal „ich die Revolution in der nächsten Woche nicht sehe“.