■ Die Ernennung Primakows könnte die russische Krise beenden
: Richtungswechsel

Das allgemeine Wohlwollen wird sich nicht lange halten. Als Außenminister hatte sich Primakow zwar einen Ruf als verläßlicher und umgänglicher Vermittler geschaffen. Doch als Ministerpräsident wird er Entscheidungen treffen müssen, die seine wirtschafts- und verfassungspolitischen Intentionen konturieren und Konflikte auslösen.

Mit Sicherheit wird er die monetaristische Richtung, die zuletzt von dem auf seine Weise kompetenten und geradlinigen Kirijenko vertreten wurde, nicht fortsetzen; dafür ist der Einfluß der Duma zu stark geworden. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Primakow versuchen, die schwachen russischen Märkte und Unternehmen vor den verheerenden ausländischen Importen zu schützen; und er wird den freien grenzüberschreitenden Kapitalverkehr regulieren und den beständigen Geldabfluß drosseln wollen. Das entspräche seiner bisherigen Tendenz in der Außenpolitik, nationale russische Interessen zu akzentuieren. Der Konflikt mit dem IWF und den anderen westlichen Kreditgebern, aber auch mit der einheimischen Finanzoligarchie wird schwer zu vermeiden sein. Primakow könnte in diesem Konflikt zerrieben werden, wie auf ihre Weise seine Vorgänger.

Sollte der Richtungswechsel gelingen, dann wären nur die Bedingungen zur Herstellung der Bedingungen einer wirklich funktionierenden Marktwirtschaft gewonnen. Schon sie aber lassen sich nur gegen die derzeit herrschenden Interessen und Mentalitäten durchsetzen, die allein die Alternative zwischen wildem Kasinokapitalismus und autokratischer Wirtschaftslenkung zu kennen scheinen. Das Neue müßte sich nicht nur gegen die fortwirkenden sowjetischen Traditionen, sondern auch gegen die moralischen Verheerungen der letzten Jahre durchsetzen.

Immerhin ist die ungute Machtkonzentration bei einem unfähigen Präsidenten faktisch, wenn auch noch nicht rechtlich, durchbrochen. Auch westliche Beobachter könnten sich nun daran gewöhnen, die russische Demokratie nicht nur daran zu messen, wie nachhaltig ihr Präsident seine Gegner deckeln kann. Die Bevölkerung Rußlands könnte lernen, daß Demokratie nicht mit der Herrschaft eines korrupten und diebischen Machtkartells gleichzusetzen ist – aber auch nicht mit einem großen enthusiastischen Gemeinschaftsgefühl. Die bevorstehende Enttäuschung über Primakow könnte sich dann auf lange Sicht weniger demoralisierend auswirken als die nach 1991. Erhard Stölting

Der Autor ist Professor für Soziologie in Potsdam.