Wand und Boden
: Chillen in den Bergen

■ Kunst in Berlin jetzt: Nonchalance, e. Twin Gabriel, Olafur Eliasson

Es gibt zwei Erbschaften der achtziger Jahre. Zum einen ist da die fröhliche Vielfalt der Stile und zum anderen die böse Beliebigkeit der Vermischung von allem und jedem, über die sich Habermas so geärgert hat. Daß sich dieser Konflikt im Crossover der neunziger Jahren noch zugespitzt hat, kann man derzeit in der Ausstellung „Nonchalance“ beobachten. Dort gibt es junge Schweizer Kunst, ungeheuer ausdifferenziert und gleichzeitig schrecklich einförmig. Der gemeinsame Nenner liegt irgendwo zwischen MTV, RTL2 und H & M, während die künstlerischen Wurzeln auf dem langen Weg von Pop-art, Konzeptualismus und Gegenkultur in den Alltag verlorengegangen sind. Vielleicht paßt das Sammelsurium aus Video, Foto und Plüschecke deshalb auch gut in die Akademie der Künste. Wo man sonst eher auf Bauhaus-Formalismus oder vergrübelte Randexistenzen setzt, spult man nun das popkulturelle Kapital im Schnelldurchlauf ab, daß hier zwar exotisch wirkt, aber auch nicht weiter weh tut. Der Züricher Ausstellungsmacher Christoph Doswald gibt dazu die Theorie der Leichtverdaulichkeit gleich im Katalog mit: „Kunst ist ebenfalls eine Ware und darum dem mimikritischen Zeitgeist genauso ausgeliefert wie etwa ein T-Shirt: flauschig, formlos und saugfähig – eben von einer gewissen Nonchalance.“

Im Treppenhaus hängen vermuffte Stoffreste, auf die Daniele Buetti hoffnungsvolle Sätze wie „I feel like you super poppy“ oder „Good luck“ gesprayt hat. Das Glück sieht bei Taxi val Mentek wie ein Ferienzelt aus und heißt „My parents' partyroom“. Danach versperren rote Paravents und Luftkissen von Fabrice Gygi den Raum, der damit autoritäre Machtstrukturen meint. Bekannt wurde der Schweizer Sorglospop mit Videos von Pipilotti Rist. Deshalb hat man neben ihrem verfremdeten Urlaubsfilm gleich drei Videoräume eingerichtet. Bei Stefan Banz kann man einer Prügelei zuschauen, bei Stefan Altenburger schwebt künstlicher Nebel ambientmäßig, aber angenehm in einer zugemüllten Kammer. Das Ganze hat etwas von Pink Floyd und Reparaturwerkstatt. Solcherart setzt sich die Aufzählung mit jeder Arbeit fort. Nichts sticht hervor, alles fügt sich zu einem Bild der Schweiz als überdimensionaler Lounge für Spätausgeher zusammen. Als Chill-out-Zone mag das Ensemble funktionieren, den Werktätigen stimmt es melancholisch.

Bis 4.10., Mo. 13–19, Di.–So. 10–19 Uhr, Hanseatenweg 10

„Else hat zugelegt“ steht auf dem Beiblatt zur Ausstellungskarte der Galerie Barbara Thumm. Else ist Teil des Künstlerduos e. Twin Gabriel, und ihr Bauch, den man auf Videoprints sieht, ist in der Tat rund wie eine Kugel. Dabei bewegt sich Else als menschlicher Koloß durchs urbane London, posiert im Badeanzug am Flughafen Heathrow, grinst unter einer Badekappe den Betrachter an oder schimpft Bäume am Straßenrand aus. Für Porträtfotos sind die Bilder zu flüchtig, und als Dokumentationsmaterial fehlt ihnen der Zusammenhang. Zwar sehen einzelne Aufnahmen nach Performance-Szenen aus, dabei könnte es sich aber genausogut um eine Modestrecke à la Vanessa Beecroft handeln: Das trägt die Schwangere in diesem Sommer. Die Twins sind seit vier Wochen zu dritt. „belle indifférence“ kreist um den psychischen Streß im letzten Monat vor der Geburt. Was immer sich an Seinsdruck aufgestaut hat, muß raus – und überhaupt: „Gegen alles, was von Übel ist, hilft Schreien. Anschreien, Rumschreien“, wie es im Text weiter unten heißt. Davon handelt eine zweite Arbeit, bei der eine Kamera vom Auto aus unentwegt durch die diversen Themsetunnel fährt, während zwei Leute urschreiartig kreischen. Der Schmerz sitzt nicht tief, trifft jedoch den Betrachter, der vom Video buchstäblich aufgesogen wird. In die Fahrt sind Stationen der Fotoserie geschnipselt, die sich in einem irrwitzigen Tempo abwechseln. Man muß sich das Verfahren als Video-Scratching vorstellen. Was das genau ist wird aber nicht verraten.

Bis 10.10., Di.–Fr., 14–19 Uhr, Sa. 13–17 Uhr Auguststraße 22

Neugerriemschneider sind von Charlottenburg nach Mitte gezogen, und schon wird gelästert: Mit den neuen Räumen in der Linienstraße tragen die beiden Erfolgsgaleristen noch mehr zur Verdrängung und Yuppisierung rund um die Auguststraße bei. Das stimmt, ist aber im Zuge von Berlin-Biennale und der ohnehin vorhandenen Galerien- und Feinkostladendichte auch egal. Eher schon muß man aufpassen, daß bei so viel Kunsthandel und Erlebnisgastronomie zum Schluß vor lauter Buntheit nicht ein ähnlich monotones Stadtbild herauskommt wie an der Stalinallee.

Noch sieht es in dem postkartenhübschen Gewerbehof recht idyllisch aus. Nur die Kunst von Olafur Eliasson empfanden einige beim Rundgang letzte Woche ein bißchen störend, weil doch sein Brunnen viel besser draußen vor der Tür aufgehoben wäre. Dabei hätte die Arbeit im Freien wahrscheinlich total glanzlos gewirkt, wie eine zwangsbegrünte Fußgängerzone. Gerade weil es dem Isländer um die Künstlichkeit geht, mit der Natur heute wahrgenommen wird, versucht er diesen Bruch innerhalb funktionaler Räume zu zeigen, ob als Eisfläche im Museum oder als Regenbogen fürs Messezentrum. Eliassons aufwärts fließender Brunnen ist im Grunde auch gar kein Brunnen, sondern eine Skulptur, die sich vor allem mit Widerstand und Bändigung der Kräfte des Wassers beschäftigt. Die Situation ist zwar paradox, aber als Konstruktion recht leicht zu verstehen. Je stärker man pumpt, desto stärker fließt es. Insofern beschreibt „Yet Untitled“ vor allem ein physikalisches Problem und dessen technische Lösung. Daß es auch noch ästhetisch aussieht, ist ein Mehrwert, der bei Kunst abfällt.

Bis 25.9., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Linienstraße 155

Harald Fricke