■ Ganz gleich, ob gegen Clinton ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wird oder nicht – politisch ist er so gut wie handlungsunfähig
: Das Ende einer Tragikomödie

Bill Clinton ist in dieser Woche auch bei seinen Parteifreunden in die Kritik geraten. Überraschend ist das nicht. Denn die Demokratische Partei war nie Clintons politische Heimat. Er hat sie stets als eines von mehreren Mitteln für seinen Erfolg betrachtet. Nun rückt die Partei von ihrer umkämpften Führungsfigur ab.

Es ist ein heilloses Durcheinander, und das Traurige daran ist: All das ist das Werk Bill Clintons. Lassen Sie uns einige Dinge klarstellen. Monicagate und Watergate haben wenig miteinander gemein. Bei ersterem wurden keine Institutionen der Regierung, wie FBI oder CIA, eingesetzt, um Gegner zu diffamieren oder den verfassungsmäßigen Prozeß einzuschränken. Es gab auch keine Einbrüche. Im Gegensatz zu Watergate war Monicagate kein Ergebnis einer vor Haß und Ausgrenzungsmechanismen verrückt gewordenen Politik. Wenn Monicagate irgend etwas war, dann genau das Gegenteil: nämlich die libidinöse Gier eines verrückt gewordenen 68er Babyboomers.

Mag sein, daß Hillary Clintons düsteres Bild einer rechten Verschwörung gegen sie und ihren Mann etwas übertrieben ist. Dennoch gibt es keinen Zweifel, daß wohl kaum ein US-Präsident jemals so viele Feinde hatte, die jahrelang versuchten, ihn zu stürzen – egal wie und zu welchem Preis. Es ist eine Binsenweisheit, daß diese bunte Gruppe von Clinton-Hassern ausschließlich in der politischen Rechten beheimatet ist, genauso wie die Tatsache, daß Kenneth Starr lange zu dieser Rechten gehörte.

Und dennoch ist das alles Clintons Werk. Er hätte es besser wissen müssen. Denn er ist ein brillanter Mann, ausgestattet mit einem feinen Gespür für die Stimmungslage in Amerika. Doch er ließ sich von seiner Selbstüberschätzung mitreißen.

Die meisten Europäer kreiden das Ganze dem angeblichen Puritanismus der Amerikaner an. Das ist unhistorisch und dumm. Wenn alles dem amerikanischen Puritanismus zuzuschreiben wäre, wie wären dann die allseits bekannten und ungeahndeten und unbeachteten Affären von Woodrow Wilson, Roosevelt, Eisenhower, John F. Kennedy, Johnson und Bush zu erklären? Sollte Amerika in den letzten zwanzig Jahren etwa puritanischer geworden sein? Natürlich nicht. Aber zwei Dinge haben sich beträchtlich geändert – das Verhalten zwischen den Geschlechtern und die Medienlandschaft. Diese beiden Punkte waren entscheidend, daß der Lewinsky- Fall zum Skandal wurde.

Skandale sind eine extrem von Ort und Zeit abhängige Angelegenheit. Was zum Zeitpunkt X in Frankreich zum Skandal wird, wäre in Japan keiner. Und was in den USA 1998 zum Skandal wird, wäre es 1968 oder 1978 oder sogar 1988 nicht geworden – und war es auch tatsächlich nicht. Doch Bill Clinton, der Magier des Zeitgeistes, hat einfach die neuen Grenzen nicht erkannt. Oder, was noch wahrscheinlicher ist, in seiner Vermessenheit geglaubt, daß sie für ihn nicht gelten.

Es gibt eine fortschrittliche Seite an dieser ganzen Geschichte, die um so trauriger ist, als Bill Clinton einer ihrer wichtigsten Befürworter ist. Die Frauenbewegung hat erreicht, daß ein sexuelles Verhältnis zwischen einem so mächtigen Mann und einer Frau ohne Macht, die in der gleichen Institution arbeiten, nicht mehr toleriert wird. Auf die Gefahr hin, daß mich einige Leser puritanisch finden – ich halte dies für einen fortschrittlichen, nötigen institutionellen, materiellen und kulturellen Schutz der schwächeren Partei (meistens der Frauen). Ich erinnere mich noch zu gut an die Regeln Mitte der Siebziger, als ich an meinem Doktortitel arbeitete. Damals mußten meine Kolleginnen sich für ihre Doktorväter „flachlegen“, junge Rechtsanwältinnen mußten mit ihren älteren Kollegen schlafen, um in der Firma aufzusteigen, genauso wie Krankenschwestern mit Ärzten. Damals war Sex der einzige, und nicht einmal sichere, ausgleichende Faktor für Frauen in der strukturell ungleichen, männlich dominierten öffentlichen Welt.

Das ist im Augenblick in Amerika, Gott sei Dank, mehr oder weniger inakzeptabel geworden. Und Bill Clinton war jahrelang ein ausgezeichneter Unterstützer von Fraueninteressen, genauso wie er Afroamerikaner in der Politik unterstützte. Er hat einen der größten Fortschritte der US-Politik in den letzten zwei Jahrzehnten, die Affirmative Action, vorangebracht – trotz der heftigen Opposition vieler weißer Männer. Er hat mehr Frauen und Schwarze auf hohe Regierungsposten und auf Richtersessel berufen als alle Präsidenten vor ihm zusammen.

Was die Sache so kompliziert macht, ist die Tatsache, daß eben wegen dieser progressiven Reformen kein Professor, Regierungsbeamter oder General, der mit einer weiblichen Untergebenen getan hätte, was Clinton mit Miss Lewinsky getan hat, noch im Amt wäre. Die öffentliche Kultur der USA hat sich grundlegend gewandelt. Und Bill Clinton wußte das und hat es unterstützt wie kein anderer. Es ist tragisch und unfreiwillig komisch, daß er sich nicht selbst daran halten konnte.

Der zweite entscheidende Wandel hat in der Medienlandschaft stattgefunden. Kabelfernsehen und Internet haben die frühere oligopolistische Ordnung durcheinandergebracht. Dazu kommt, daß die Medien rücksichtsloser mit allen Autoritäten umspringen – inclusive des Präsidenten. Mittlerweile rechnen wir damit, über die Steuererklärung jedes Amtsträgers informiert zu werden, genauso wie über ihre Gesundheit und ihr Sexleben. Auch das wußte Bill Clinton. Doch der Meister der Medieninszenierungen hatte sich nicht unter Kontrolle.

Es ist auf traurige Weise unerheblich, ob der Kongreß Bill Clinton des Amtes entheben wird, ob er ihn tadeln wird, ob er monatelange Anhörungen abhalten wird oder ob er die Sache fallen läßt. Monica schwebt über allem, was Bill Clinton getan hat und, schlimmer noch, über allem, was er wegen dieser Affäre nicht einmal versucht hat zu tun. Das reicht von seinem Schweigen zu entscheidenden innenpolitischen Themen wie dem Haushaltsüberschuß, der Zukunft des beinahe bankrotten Rentensystems und der Krise im Gesundheitswesen bis zu internationalen Problemen vom Nahen Osten bis zu Rußland, dem Kongo oder Indonesien, Kosovo oder Japan. Und das sind nur einige Regionen, in denen US-Führung dringend nötig und erwünscht ist, aber nicht vorankommt. Clintons Präsidentschaft ist befleckt und lahmgelegt. Kein Grund zum Jubeln für die US-Linke. Andrei S. Markovits

Übersetzung: Karin Gabbert