Der Kontinent der einarmigen Banditen

AustralierInnen sind besessen vom Glücksspiel. Die Konsequenzen der liebsten Freitzeitbeschäftigung der Nation erschrecken: Mindestens 300.000 Menschen sind spielsüchtig. Die Bundesstaaten kassieren kräftig mit  ■ Aus Melbourne Urs Wälterlin

Das Foyer des Vergnügungspalastes empfängt den Besucher mit wohliger Wärme. Während draußen der eisige Wind eines Melbourner Wintermorgens pfeift, locken die prachtvollen klimatisierten Hallen des „Crown Casino“ mit glitzernden Spiegelkugeln, farbigen Laserstrahlen und einem gelben Saab Turbo Cabrio als Hauptgewinn.

Doch die wenigen Spieler, die an den Roulette- und Black-Jack- Tischen sitzen, machen nicht gerade den Eindruck, als würden sie sich wohl fühlen. Die Ellenbogen auf den Mahagonitisch gestützt, Zigarette im Mundwinkel, hängen sie in ihren Stühlen. Mit blutunterlaufenen Augen – Zeugen einer langen Nacht – verfolgen sie den Lauf der Roulettekugel. Ein Stöhnen, und wieder heißt es Abschied nehmen von ein paar Plastikchips.

AustralierInnen sind Weltmeister im Glücksspiel. Im letzten Jahr setzten sie im Kasino und auf Pferderennbahnen umgerechnet rund 80 Milliarden Mark um – und verloren dabei über 10 Milliarden. Über drei Prozent des Einkommens eines australischen Haushalts landen heute regelmäßig in der Kasse eines Kasinos oder im Einwurfschlitz einer Pokermaschine.

Diese Entwicklung hat jetzt die australische Bundesregierung auf den Plan gerufen. Schatzkanzler Peter Costello gab eine Studie in Auftrag, in der die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des beliebtesten Freizeitvergnügens der Australier erhellt werden sollen. Denn Vertreter von Betroffenen klagen schon seit Jahren, daß die Spielbesessenheit das Land deutlich mehr kostet, als es verdient: Vorsichtigen Schätzungen zufolge sind 1,5 Prozent der AustralierInnen schwerst spielsüchtig – etwa 300.000 Menschen.

Das Geschäft mit der Hoffnung auf den großen Gewinn ist rentabel. Die Aktionäre der Kasino- und Wettbürofirmen im In- und Ausland sind die großen Profiteure der landesweiten Spielmanie. Als vor ein paar Monaten eine Wettgesellschaft an die Börse ging, meldeten die Brokingfirmen ein überwältigendes Interesse von seiten potentieller Investoren. Auch in den Kasinos rollt die Roulettekugel rund um die Uhr.

Es gebe noch genügend „obszön reiche Kapitäne der Kasinoindustrie“, so der Sprecher einer kirchlichen Selbsthilfegruppe. Doch es sind die Regionalregierungen, die sich von den Gegnern die schärfste Kritik anhören müssen. Steuern im Umfang von etwa 3,5 Milliarden Mark flossen im letzten Jahr an den Fiskus. Reguliert wurde in den letzten Jahren allerdings kaum noch, meint Paul Symond, Präsident des „Konzils für Problemspieler“ im Bundesstaat Neusüdwales. „Statt Grenzen zu ziehen, haben die Regierungen die Spielindustrie gefördert“, so der Berater für Spielsüchtige.

Tatsächlich sprossen in den letzten fünf Jahren Kasinos im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden; „einarmige Banditen“ gehören zum Inventar in jedem Pub. Die Pokermaschine hat sich inzwischen für viele Bundesstaaten als Geldquelle entwickelt, auf die nicht mehr verzichtet werden kann. In Neusüdwales und Victoria stammen bis zu 14 Prozent des staatlichen Haushaltseinkommens aus der Tasche der Spieler.

Für Paul Symond ist diese Entwicklung „katastrophal“. „Bundesstaaten haben ein Interesse, das Glücksspiel zu fördern“. Er ist überzeugt, die geplante Untersuchung werde zeigen, daß die durch Spielsucht verursachten Kosten höher sind als die erzielten Gewinne. Jeder Süchtige ziehe mindestens 15 weitere Personen direkt in Mitleidenschaft – in der Familie, am Arbeitsplatz, im Freundeskreis. Die Konsequenzen hätten negativen Einfluß auf die Volkswirtschaft, betont Symond. Die Behandlung depressiver Süchtiger belaste das Gesundheitswesen, das Wegbleiben vom Arbeitsplatz die Produktivität, die Verwahrlosung von Kindern die Sozialdienste und die Beschaffungskriminalität das Justizsystem.

Laut Berechnungen von Julie Smith, Steuerexpertin und Autorin einer Studie zum Thema, kommen ganze 200.000 schwerst Spielsüchtige und ihre Familien für ein Drittel der 3.5 Milliarden Mark auf, die jährlich an die öffentliche Hand gehen. Süchtige wie John K. und seine Frau Peta, beide hochqualifizierte Berufstätige. Sie werden von Paul Symond betreut und befinden sich finanziell laufend am Rande des Abgrunds. John (32) begann mit 16, bei Pferderennen zu wetten. Seinen Lohn, den er am Donnerstagnachmittag erhielt, hatte er meist schon am Abend verspielt. Seine Eltern mußten ihn mehrmals von Schulden in Höhe von 100.000 Mark freikaufen. Nach der Heirat mit Peta (29) legte sich seine Sucht kurzzeitig, bis er begann, „die Kasse seines Geschäftes buchstäblich zu vergewaltigen“, wie Symond erklärt. Peta und John hätten schon mehrmals mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt. Inzwischen haben sie Schulden in Höhe von über einer halben Million Mark. „Das ist nicht ungewöhnlich“, berichtet Symond. Wegen der meist enorm hohen Verschuldung seien Spieler in der Regel „für ihr Leben verdammt“. Von ihren finanziellen Verpflichtungen würden sie bis ins Alter verfolgt.

Schichtwechsel im Melbourner „Crown Casino“. Der neue Türsteher verwehrt einem Mann den Zutritt. Seine Hose gefalle ihm nicht, erklärt der Bodybuilder. Darüber, daß der 24-Stunden-Betrieb reibungslos läuft, wacht im Palast der Träume ein Heer von Sicherheitsleuten. Keine Ecke des gigantischen Kompflexes entgeht den Augen der Männer in den schwarzen Anzügen.

Nichts darf den Ablauf stören, denn Unruhe ist schlecht für das Geschäft. Der Ruf des Hauses leidet schnell. So wie vorletztes Jahr, kurz nach der Eröffnung der 2-Milliarden-Mark-Anlage, als Polizisten auf dem Parkplatz des Kasinos in einem Auto Kinder entdeckten. Stundenlang eingesperrt, waren sie völlig erschöpft und halb verdurstet. Ihre Eltern fand man nach langem Suchen an einem Roulettetisch.