An der Grenze das letzte Geld geraubt

■ Täglich treffen Flüchtlinge aus dem Kosovo in Bosnien ein. 8.000 sollen sich bereits dort aufhalten. Doch auch die Rückkehrer warten auf Hilfe

Sarajevo (taz) – Auf dem Vorplatz des Flüchtlingslagers tummeln sich Kinder. Im langgezogenen Flachbau, der als Unterkunft für die Flüchtlinge dient, sind vor allem Frauen anzutreffen. Insgesamt 83 Menschen sind aus den zerstörten Gebieten Kosovos in dieses Tal nahe der bosnischen Hauptstadt Sarajevo gekommen.

Die Frauen wollen ihre Namen nicht nennen – aus Angst um ihre Angehörigen, die im Kosovo geblieben sind. Und sie sind mißtrauisch. Gerüchte machen die Runde, daß serbische Kosovaren, die perfekt albanisch sprechen, sich im Auftrag des serbischen Geheimdienstes unter die Flüchtlinge in Bosnien mischen. Doch langsam entspannt sich die Atmosphäre.

Sie kämen aus Dörfern in der Nähe der Städte Kosovoska Mitrovica und Przren. Vor Wochen schon seien sie in diese Städte geflohen, hätten Unterschupf bei Freunden und Verwandten gefunden, nachdem ihre Dörfer von den serbischen Truppen niedergebrannt worden waren, erzählt eine Frau. Als die serbischen Polizisten begannen, jedes Haus in ihren Städten zu durchsuchen, seien sie mit den Kindern von Priština aus nach Sarajevo gefahren.

„Mein Mann wurde verhaftet“, berichtet eine ehemalige Lehrerin aus Kosovska Mitrovica. Der Mann ihrer Nachbarin konnte noch fliehen. Gemeinsam kauften die beiden Frauen die Karten für den Bus. „50 Mark kostete das, als der Bus losfahren sollte, verlangte der Fahrer noch 100 Mark pro Kopf zusätzlich.“ In Priboj, an der Grenze Serbiens zu Bosnien-Herzegowina, seien alle Passagiere durchsucht, ihr restliches Geld von den Zöllnern geraubt worden.

Jetzt wissen sie nicht, wie es weitergehen soll. Zumindest haben sie sich bei der Füchtlingsorganisation UNHCR registrieren lassen und erhalten deshalb humanitäre Hilfe. „Dreimal Essen pro Tag, trotzdem haben wir fünf Kilogramm abgenommen. Ab und zu kommen die ägyptischen SFOR-Truppen und bringen etwas Essen und Schokolade vorbei“, erzählt eine Frau.

Es verwundert, daß Flüchtinge aus Kosovo ausgerechnet nach Bosnien kommen, um hier Schutz vor dem Krieg in ihrer Heimat zu suchen. Sie treffen in diesem Flüchtlingslager auf Familien, die als ehemalige Flüchtlinge aus Bosnien Deutschland verlassen mußten. Hier kreuzen sich die Flüchtlingsschicksale. Während die kosovo-albanischen Familien auf eine Weiterreise in westliche Länder hoffen, haben die Rückkehrer alle Illusionen über eine neue Existenz dort verloren.

„Die deutschen Behörden kündigten an, daß wir in drei Monaten zurückkehren sollten,“ sagt Bekim R., der mit seiner Familie aus Nürnberg hierhergekommen ist. Doch die Polizei habe sie schon am nächsten Tag zum Flughafen gebracht. Da die Familie keine Verwandten hat, muß sie vorerst in diesem Flüchtlingslager bleiben.

Schon die Zehntausenden von Bosnien-Rückkehrern, die noch in diesem Jahr zurückgeführt werden sollen, könnten Bosnien-Herzegowina destabilisieren, befürchtete der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Carlos Westendorp, in einem Interview im Mai. Er forderte eine langsamere Gangart der Rückführungspraxis vor allem von den deutschen Behörden. Ohne Erfolg.

Jetzt kommen noch die Kosovo- albaner. Schätzungsweise schon 8.000 Kosovo-albaner seien in die bosnisch-kroatische Föderation gekommen, die meisten seien bei Verwandten untergeschlupft, erklärt Adriane Quentier, Sprecherin des UN-Flüchtlingswerkes UNHCR. Beim UNHCR hätten sich nur 2.243 Personen registrieren lassen. Im Juli seien es 309 gewesen, im August schon 1.100, nicht nur in Sarajevo, auch in Bihač, Tuzla, Zenica. Was soll mit den Menschen geschehen, wenn noch weit mehr Flüchtlinge aus dem Kosovo nach Bosnien-Herzegowina kommen? Ariane Quentier hat keine Antwort. „Die Festung Europa möchte sich offenbar nicht mit den Flüchtlingen aus dem Kosovo befassen“, sagt sie. Erich Rathfelder