Asymmetrie der Interessen

Die Europa-Universität Frankfurt an der Oder erhält einen Brückenkopf auf polnischer Seite. Noch scheitert die Grenzüberschreitung an der Sprache  ■ Aus Slubice Heike Spannagel

Wenn sich Krzystof Wojciechowski ausmalt, was aus dem Collegium Polonicum einmal werden soll, lehnt er sich im Stuhl zurück und schließt die Augen. „Eine Kulturstätte für junge Leute“, sagt er dann, und man stellt sich fröhliche Studenten vor, die in polnischer und deutscher Sprache diskutieren, grenzüberschreitende Feste feiern oder historische Ausstellungen eröffnen. Den idealistischen Doktor der Philosophie darf der 41jährige Wojciechowski allerdings nur selten herauskehren. Normalerweise gibt er sich pragmatisch, wie es sich für einen modernen Uni-Manager gehört: „Vor allen Dingen bieten wir unseren Studenten Dienstleistung auf hohem Niveau und eine effiziente Ausbildung.“

Visionär und praktisch, so sieht das Collegium Polonicum, was übersetzt soviel wie Lehranstalt für Polen heißt, auch aus. Wenn man von Frankfurt an der Oder aus die Grenze überquert, also einfach 200 Meter über die Oderbrücke rüber in das 17.000-Einwohner-Städtchen Slubice spaziert, sticht der Neubau rechter Hand ins Auge: wie ein glänzendweißes Raumschiff, das am Oderufer gelandet und dort liegengeblieben ist. Auf drei Etagen beherbergt es drei Hörsäle, etliche Seminar- und Büroräume und eine Bibliothek – alles auf Hochglanz poliert wie auch die Broschüren, die für einen „Wegweiser für die europäische Zusammenarbeit im Hochschulwesen“ werben.

Noch wirkt das neue Institut wie ausgestorben. Zwar fanden im Sommersemester schon Vorlesungen und Übungen in polnischem Recht statt, aber 450 vorwiegend polnische Jura-Studenten, die hier ihr Hauptstudium absolvieren, können den weiträumigen Neubau nicht mit Leben erfüllen. Das soll im Oktober anders werden, wenn in Slubice fünf neue Studiengänge starten: Umweltschutz und Politologie für polnische Studenten sowie drei moderne Aufbaustudiengänge für Deutsche und Polen, nämlich „Management und Marketing für Mittel- und Osteuropa“, „Schutz europäischer Kulturgüter“ und „Vergleichende Mitteleuropastudien“. Für einen zweijährigen MBA-Studiengang „Management und Marketing für Mittel- und Osteuropa“ sollen junge Manager 36.000 Mark bezahlen.

Noch sind auf polnischer Seite kaum Deutsche anzutreffen. „Wir müssen uns erst auf dem Markt behaupten“, sagt Krzysztof Wojciechowski, der das Collegium Polonicum aufgebaut hat und jetzt als Verwaltungsdirektor die Fäden in der Hand hält. Wenn er von einer „Asymmetrie der Interessen“ spricht, dann meint er damit, daß eine Million Polen Deutsch und nur 1.000 Deutsche Polnisch lernen. Mit der Freiheit sei ans Tageslicht gekommen, daß Deutsche und Polen nichts voneinander wüßten und sie sich auch nicht füreinander interessierten, sagt Wojciechowski. Das zu ändern brauche Zeit, mindestens 15 Jahre. Die neue Studentengeneration sei als erste relativ frei von Ressentiments.

Vorurteile haben die Studenten Tomasz Janiak und Florian Goebel offensichtlich keine. Der eine stammt aus dem mittelpolnischen Kalisz, der andere aus Düsseldorf. Eben haben sie sich im Wohnheim in Slubice kennengelernt, schon sitzen sie gemeinsam am Küchentisch und amüsieren sich über die Gewohnheiten der strengen Wohnheimverwalterin namens Teresa Lipka. Beide sind 24 Jahre alt und studieren Jura an der Frankfurter Europa-Universität Viadrina.

Der Unterschied: Tomasz beschränkte sich nach dem Grundstudium, das er in Frankfurt absolvierte, auf polnisches Recht am Collegium Polonicum. Florian studiert komplett auf deutscher Seite. Ihr einhelliges Fazit: Deutsch-polnische Freundschaften funktionieren prima, aber Begegnungen in der Wissenschaft scheitern an der Sprache. Vorteile auf dem Arbeitsmarkt versprechen sie sich allemal, haben sie beim Wohnen und Studieren in Slubice und Frankfurt doch die Mentalität auf beiden Seiten der Grenze kennengelernt.

Von den Erfolgsaussichten der Viadrina-Studenten ist auch Krzysztof Wojciechowski überzeugt. Drei Viertel aller Stellen, die im Grenzbereich ausgeschrieben seien, setzten Kenntnisse über das Nachbarland voraus. Gerade mit beiden Rechtskulturen vertraute Juristen hätten gute Karten, meint der Verwaltungsdirektor.

Zumindest in Polen haben sich die Vorzüge des Collegiums schon rumgesprochen. Drei Bewerber kommen derzeit auf einen Studienplatz in polnischem Recht. Deutsche Studenten haben freilich wenig Anlaß, sich um einen polnischen Magister zu bemühen: Der Abschluß wird in Deutschland nicht anerkannt. Die an der Viadrina einmalige Chance, den polnischen Magister parallel zum deutschen Staatsexamen zu erwerben, hat bislang noch keiner genutzt. Der Arbeitsaufwand wäre auch immens hoch. „Lieber mache ich einen guten Abschluß als zwei schlechte“, sagt Tomasz, der sich für den polnischen Magister entschieden hat, weil er einmal in seinem Heimatland arbeiten will. Von den 90 polnischen Kommilitonen, die mit ihm 1993 auf deutscher Seite das Studium begonnen haben, sind 50 übriggeblieben. Alle studieren inzwischen am Collegium Polonicum und wohnen in Slubice. Nach Frankfurt rüber gehen sie allenfalls zum Einkaufen, denn „Öl, Margarine, Bier und Schokolade sind in Deutschland toll im Preis“ – auch eine Form von Grenzüberschreitung.