■ Nachschlag
: Schlinge rennt oder: Wie verkaufe ich eine zahlungsunfähige Partei?

Parteien sind käuflich. Immer schon. Doch Christoph Schlingensiefs „Chance 2000“ ist die erste Partei, die ihre Käuflichkeit zum Prinzip erhebt. Wo Scheitern als Chance begriffen wird, kann es keinen Konkurs geben, anderslautenden Gerüchten und 100.000 Mark Schulden zum Trotz. So lud Parteichef Schlingensief, der in der Vorwoche noch eine Phase der Verzagtheit durchlebt hatte, gestern frischen Mutes zur Pressekonferenz in die Büroräume in der Kastanienallee, um die „frohe Botschaft“ zu verkünden: Es geht weiter.

Nicht verkauft, sondern freigekauft hat man die Partei: „kommerzialisiert“ eben. In der mit T-Shirts, Aufklebern und Plakaten bestückten Parteizentrale sieht es sowieso aus wie in einem Fanshop. Da ist nur konsequent, zum „Konzern im Aufbau“, zum Unternehmenszweig eines entschlossen gegründeten internationalen Firmenkonsortiums zu mutieren. Hinter dem neuen Dachverband „Chance 2000 – International“ verbergen sich angeblich drei Independent Labels aus Japan, England und Deutschland und vier weitere „junge Unternehmen“. Sie gehen davon aus, „daß mit Produkten und Dienstleistungen, deren Herstellung nicht in erster Linie aus Profitgründen geschieht, sondern aus eigentlich marktfremden, sogar marktfeindlichen oder antiökonomischen Motiven, der größte Geschäftserfolg zu erzielen ist“. Politik ist also endgültig Pop geworden – und Ware sowieso. Oder, um es in Schlingensief-Worten zu sagen: „Wir wissen, daß Politik nicht funktioniert, daß das eine große Luftblase ohne Wirklichkeitsbezug ist.“

Politik als Nichtpolitik, Geschäft mit dem Antigeschäft, Sinn als Unsinn und Unsinn als Sinn: das ist die Schlinge-Schlaufe, mit der sich aus der Wirklichkeit jederzeit Inszenierungen herausstemmen lassen. Oder umgekehrt. Da erstaunt es auch nicht mehr, daß Schlingensief selbst einer der sieben geheimen Teilhaber von „Chance 2000 – International“ ist und damit die erstaunliche Quadratur seiner selbst vollbringt. Als zweiter outete sich der Regisseur Tom Tykwer, der mit seinem Film „Lola rennt“ auf einmal viel Geld verdient, so daß er nicht versäumen möchte, Gutes zu tun. Alle Teilhaber haben den zinslosen Rettungskredit auch nur an eine Bedingung geknüpft: Die Partei möge zur „totalen Autonomie“ aufrufen.

Doch alles Gute hat seinen Preis. Zu den Wahlkampfveranstaltungen von Chance 2000 muß man nun richtige Eintrittskarten lösen. Und Optionsscheine, mit denen sich Anteile am jungen Unternehmen erwerben lassen, kosten 20, 50 oder 100 Mark. Sollte sich Chance 2000 eines Tages doch auflösen, löst sich auch der irdische Wert dieser Scheine auf und wird zu Kunst. Alles weitere steht im Internet unter www.chance2000.com Jörg Magenau