Durchgebrannte Trauersicherungen

■ Ihr Konterfei veredelt Tassen, Zuckerdosen und Briefmarken, Hollywood dreht einen Film über Leben und Sterben der „Königin der Herzen“. Auch ein Jahr nach ihrem Tod löst Diana Spencer, die berühmteste Leiche der Welt, immer noch einen Kaufreflex aus. Zehntausende Briten pilgern seit Wochen nach Althorp, Dianas letzter Ruhestätte auf einer Insel, die ihr Bruder in einen Freizeitpark verwandelt hat. Aber ist sie überhaupt tot? War es wirklich ein Unfall? Ein Jahr nach dem Crash in Paris ist Englands Zitungn keine Geschichte zu absurd – Hauptsache, die Auflage stimmt.

Tot oder lebendig – den britischen Zeitungen ist das egal. Früher, als die Prinzessin noch lebte, hat man mit Berichten über ihre Torheiten und Skandälchen die Auflage gesteigert. Unvergessen die Häme des Observer, der Dianas Intelligenzquotient nur knapp über dem eines Blumenkohls ansiedelte, während der Sunday Mirror sie für „trivial und hirntot“ hielt. Beide Artikel erschienen ausgerechnet an dem Tag, an dem sie starb: am 31. August 1997.

Im Jahr eins der Sankt-Diana- Zeitrechnung löst die berühmteste Leiche der Welt erst recht einen Kaufreflex aus. Posthum hat man sie freilich für fehlerfrei erklärt, so ist das nun mal bei Heiligen. Die Daily Mail druckt Rabattmarken ab, die gegen ein lehrreiches Video eingelöst werden können: „Wie Diana ihre Kleidung eingesetzt hat, um ihre Persönlichkeit auszudrücken.“ Für die Marken gibt es wahlweise auch eine Diana-Kerze oder einen Diana-Sammelordner für eine Modeserie.

Keine Geschichte ist zu absurd: Der Mirror entdeckt einen Küchenschrank, in dem sie sich vor den Fotografen versteckt haben soll. Die Mail on Sunday findet eine griechische Insel, auf der sie heiraten wollte, die Sun bringt auf der Titelseite schlichte Gedichte aus dem Volk. Das Blatt hatte als erstes das berühmte Foto von Diana und Dodi auf dem Schiff abgedruckt, das dem Fotografen zwei Millionen Dollar einbrachte. Allerdings verdrehten die Zeitungsleute dem Diana-Liebhaber elektronisch den Kopf, damit er nicht aufs Meer, sondern der Prinzessin in die Augen schaut.

Auch die sogenannte Qualitätspresse legt eine Geschichte nach der anderen nach. Der Guardian sucht gar eine „neue Diana“. Und linke Zeitschriften wollen ihre Leserschaft mit Dianas Hilfe zum Sozialismus bekehren. Bei Red Pepper, dem Magazin der Labour-Linken, ist Diana als Che Guevara auf dem Titel abgebildet, der New Statesman zeigt sie im Andy-Warhol- Stil, und Living Marxism hat sie ganz unverfremdet auf dem Cover.

Was bedruckbar ist, wird mit dem Diana-Konterfei veredelt: Tassen und Briefmarken, Margarinetöpfchen und Zuckerdosen, Geschirrtücher und Rubbel-Lose. In Londoner Szenekneipen werden sogar Diana-Ecstasy-Tabletten angeboten. Hollywood dreht einen Film über das Leben und Sterben der Prinzessin, ein Theaterstück wurde bereits in Edinburgh aufgeführt: „Liebe auf dem Thron: Charles und Diana – die wahre Geschichte“. Dabei handelt es sich allerdings um ein Sakrileg: Das Nationaltheater von Brent ist bekannt für die satirische Aufarbeitung todernster Themen. Diana wird von einem Mann, John Ramm, gespielt. Die Proben sollten eigentlich voriges Jahr am 31. August beginnen. Dann kam der Pariser Tunnel dazwischen.

Aber ist sie überhaupt tot? Charlotte Cox glaubt, die Prinzessin sei nach dem Unfall einfach weggelaufen und lebe „irgendwo in Amerika“. Cox ist eine von sechs ExpertInnen, die neulich bei Channel 4 ihre Verschwörungstheorien ausbreiten durften. Es war, wohlgemerkt, keine Satiresendung. Der britische Geheimdienst MI-6 und die CIA seien vier Wochen vor dem Unfall in den Mercedes eingebrochen und hätten eine Fernsteuerung eingebaut, mit der sie den Wagen nicht nur gegen den Pfeiler gelenkt, sondern zuvor auch die Sicherheitsgurte gelöst hätten, erklärte Cox.

Ein anderer Verschwörungstheoretiker, der selbsternannte „investigative Journalist“ Jon King, stimmte ihr insoweit zu, daß die Geheimdienste dahintersteckten, weil ihnen Dianas Kampagne gegen Landminen auf die Nerven ging. Die Paparazzi seien in Wirklichkeit Agenten gewesen. Er habe „schon Tage vorher“ gehört, daß der Unfall passieren würde, aber seine Quellen könne er natürlich nicht preisgeben, prahlte King. Simon Regan, noch ein Experte, weiß es genauer. Der zum Rennwagen umgebaute weiße Fiat Uno war an der Sache beteiligt. Ein Augenzeuge habe auf dem Rücksitz einen großen Hund gesehen, der aber gar keiner war, sondern eine getarnte Strahlenkanone.

Es ist verblüffend, auf welch fruchtbaren Boden dieser Unfug bei den Engländern fällt. Im letzten Jahr glaubten fast alle an einen Unfall, inzwischen ist ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung nicht mehr so sicher. Gleichzeitig stieg Dianas Beinahe-Schwiegervater Mohammed al-Fayed in der Gunst des Volkes; viele sind empört, daß man ihm noch immer den britischen Paß verweigert. Zu Dianas Lebzeiten galt er als gemeingefährlich, hätte er die Prinzessin doch womöglich zum Islam bekehrt. Wäre dann auch noch der Herzköniginbube William übergetreten, wäre die Monarchie perdu gewesen. Ein weiteres Mordmotiv?

Um Dianas Tod ranken sich ebenso viele Mythen wie um das Ableben Elvis Presleys, Kennedys oder Hitlers. Beatrix Campbell stellt Diana dagegen auf eine Stufe mit Hitlers Opfern. Der feministischen Schriftstellerin, die an der Dianamanie auch ein paar Pfund verdienen will, sind die Trauersicherungen durchgebrannt. In ihrem Buch heißt es, Di sei mit dem Auftritt bei „Panorama“, als sie der Nation ihr Herz ausschüttete, in „die Gemeinde der Ausgestoßenen aufgenommen worden: der Überlebenden des Horrors, der Folter und des Kindesmißbrauchs, des Holocaust, der Weltkriege und Pogrome, des Vietnamkriegs und der Apartheid in Südafrika“.

Aber wer von denen hat schon einen eigenen Tempel? Die Prinzessin ist in Althorp, dem neuen britischen Trauermekka, auf einer Insel bestattet, wo sie vor Grabräubern sicher ist. Ihr Bruder, Graf Spencer, hat den Landsitz der Familie für zwei Monate in einen Diana-Freizeitpark umgewandelt, am Montag wird er wieder dichtgemacht. Bis dahin werden 150.000 Menschen umgerechnet 30 Mark pro Nase bezahlt haben, um einen Blick auf die Toteninsel zu werfen. Am Ufer befinden sich Restaurant, Souvenirshop und der zum Museumstempel umgebaute Stall. Dort gibt es ihr Kinderspielzeug zu sehen, ihre Garderobe samt Hochzeitskleid, ein Diana-Video und Memorabilia ihrer Lebensstationen. Nur die vermaledeiten Windsors kommen nirgends vor: Spencer hat sie aus dem Film herausschneiden lassen. Ralf Sotscheck