Die teuersten Ermittlungen der Verkehrsgeschichte

■ Ein Jahr nach dem Unfall in Paris schließt die französische Justiz nach aufwendigen Untersuchungen ein Attentat aus und konzentriert sich ganz auf die Klärung der Unfallursache

Es gab Zeiten, da wäre der Tod einer englischen Prinzessin in Paris ein Kriegsgrund gewesen. Im Jahr 1997, als die nicht angeschnallte Diana Spencer bei einem Aufprall mit über 180 Stundenkilometern gegen Säule 13 im Alma-Tunnel Verletzungen erlitt, an denen sie Stunden später starb, griff niemand zu den Schußwaffen. Dafür löste ihre letzte Fahrt die bislang teuersten Ermittlungen der französischen Verkehrsgeschichte aus. Ins Visier gerieten dabei: die Medien, die Automobilbranche, die Pharma- und Alkoholindustrie, das Ritz, das britische Königshaus sowie zahlreiche angebliche VerschwörerInnen.

Die Verdächtigungen begannen schon, als Diana noch ein bißchen lebte. Zehn Fotografen, die der Prinzessin und ihrem Geliebten Dodi al-Fayed in der Nacht vom 30. zum 31. August per Motorrad und Auto gefolgt waren und im Tunnel angeblich nur fotografierten, statt Hilfe zu leisten, waren die ersten Sündenböcke. Der nächste war der 51jährige Chauffeur Henri Paul, der bei seiner letzten Fahrt nicht nur Liebeskummer, sondern auch 1,8 Promille Alkohol im Blut hatte und sich außerdem mit Antidepressiva und Schlafmitteln „behandelt“ hatte. Anschließend fiel der Verdacht auf die Direktion des Ritz, die das Liebespaar dem notorischen Alkoholiker ausgeliefert hatte. Dann auf einen ominösen weißen Fiat Uno, der angeblich den Unfallwagen gerammt hatte. Dann auf Probleme des Antiblockiersystems in dem Mercedes. Dann auf die vielfältigen Interessen am Verschwinden des unbotmäßigen anglikanisch-muslimischen Liebespaares, das dem verhinderten Opa und Schwiegervater Mohammed al-Fayed zufolge sowohl Nachwuchs erwartete als auch eine Hochzeit plante.

In Frankreich hatte die Nachricht vom Aufprall im Tunnel bereits nach wenigen Minuten die Runde gemacht. Bereits um 0.25 Uhr informierte der Pariser Polizeipräfekt Massoni den Präsidenten, den Premierminister, den Innenminister und den britischen Botschafter über die schwerverletzte Prinzessin. Der Botschafter übermittelte weiter nach London, bevor er ins Krankenhaus Salpêtrière fuhr, wo sich schon der in Schwarz gekleidete Innenminister und der Polizeipräfekt im Wartesaal eingefunden hatten.

Eine halbe Stunde länger dauerte es, bis Dodis Vater, Mohammed al-Fayed, in seinem Wohnsitz bei London von dem Unglück erfuhr. Wie der französische Premierminister Lionel Jospin, der an der Atlantikküste weilte, begab er sich sofort auf dem Luftweg nach Paris. Nach dem Tod der Prinzessin, ihres Geliebten und des Fahrers ging die Sache an den Pariser Untersuchungsrichter Hervé Stephan. Er hat seither geleistet, was kein französischer Unfallermittler vor ihm je getan hat. Außer den zehn Paparazzi verhörte er 153 ZeugInnen und nahm zu 3.000 Besitzern weißer Fiat Uno im Großraum Paris Kontakt auf. Allein im Ritz sprach er mit 90 Angestellten, darunter auch einem Barmann, der berichtete, die Hoteldirektion habe ihn „gebeten“, statt der zwei Ricard, die er dem Fahrer am Unfallabend ausgeschenkt hat, „zwei Obstsäfte“ zu Protokoll zu geben.

Abgesehen vm Prinzessinnenfaktor komplizierten auch die Abhängigkeitsverhältnisse der Unfallbeteiligten die Ermittlungen. Denn Multimilliardär al-Fayed ist nicht nur der Vater von Dodi, sondern auch Besitzer des Ritz, damit Arbeitgeber des Chauffeurs, und beschäftigte zudem bis vor einigen Monaten den einzigen Überlebenden der Fahrt: den Bodyguard Trevor Rees-Jones. Hinzu kam, daß al-Fayed senior von vornherein nicht an einen Unfall glaubte und seinerseits je einen französischen und einen britischen Privatermittler engagierte.

Ein Jahr danach hat sich die Aufregung in Paris jedoch gelegt. Die französische Justiz schließt heute ein Attentat aus. Nach dem ominösen weißen Fiat Uno sucht sie auch nicht mehr. Und die Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung gegen die zehn Paparazzi werden bald eingestellt, heißt es gerüchteweise.

Reste des Mercedes und Blutproben des Fahrers befinden sich freilich immer noch zu Analysezwecken in Expertenhand. Seit Bodyguard Rees-Jones im Frühling seinen Arbeitgeber al-Fayed verließ, scheint er auch von seiner partiellen Amnesie genesen. Die Ermittlungen konzentrieren sich jetzt ganz unprinzessinnenhaft auf einen Unfall und die ihm vorausgegangenen Sicherheitsprobleme. Ende Oktober will Richter Hervé Stephan den Abschlußbericht vorlegen. Dorothea Hahn, Paris