Ein Sprachschüler auf Abwegen

Zwischen Bukarest und Nirgendwo: Tony Gatlifs „Gadjo Dilo“ erzählt um eine fiktive Geschichte herum den Alltag der Sinti und Roma in einem kleinen Dorf. Laiendarsteller spielen sich selbst  ■ Von Alexander Remler

Es sind gleich mehrere magische Momente, die Tony Gatlifs Film „Gadjo Dilo“ ausmachen. In der vielleicht schönsten Szene tanzt der alte Izidor am Grab seines gerade verstorbenen Freundes Wilan zu trauriger Geigenmusik. Ganz allein und in sich gekehrt. Diese Szene kommt ohne jeglichen Schnickschnack daher. Die Kamera beobachtet nur, sie greift nicht ein. Sie hält einfach drauf.

„Gadjo Dilo“ („Der wilde Fremde“) ist kein Dokumentarfilm im eigentlichen Sinne, denn er erzählt eine fiktive Geschichte, die in einem rumänischen Dorf der Sinti und Roma angesiedelt ist. Die zahlreichen Laiendarsteller verleihen ihm aber eine Authentizität, die aus Figuren reale Menschen und aus einer diskriminierten Gruppe eine Lebensgemeinschaft macht.

In der Eiszeit des rumänischen Winters strandet der Franzose Stephane mitten in der Pampa. Irgendwo zwischen Bukarest und Nirgendwo. Er ist eigentlich auf der Suche nach einer Sängerin, deren Kassette er mit sich trägt. Doch nun hat er irgendwie keine Lust mehr zum Weiterlaufen. Also bleibt er stehen. Und die Geschichte beginnt.

Schon bald wird er den alten Roma Izidor kennengelernt haben und in seinem schäbigen Bett nach einer durchsoffenen Nacht aufwachen. Durch das Fenster starren ihn die mißtrauischen Augen der Bewohner des Dorfes an. Ein Fremder verirrt sich sonst nur selten zu den im Lande kaum tolerierten Sinti und Roma. Von Izidor keine Spur. Verständlich machen kann sich Stephane auch nicht. Also schleicht er von dannen. Kein besonders toller Abgang. Und doch der Beginn einer Freundschaft.

Als er wenig später mit Geschenken zurückkehrt, ist Izidor zu Hause und stellt ihn der versammelten Dorfbevölkerung als seinen neuen Sprachschüler vor. Daß der seltsame Fremde extra den weiten Weg aus Paris wegen des Sprachunterrichts gemacht haben soll, leuchtet zwar so recht niemandem ein, doch aus dem Fremden mit dem Blick von außen wird ein Freund, der in den alltäglichen Ablauf des Lebens einbezogen ist. Und natürlich gibt es auch noch eine Frau, die geheimnisvolle Sabina, in die er sich verliebt, aber das kommt erst viel später.

Vor fünfzehn Jahren hat der algerisch-französische Regisseur Tony Gatlif sein „Zigeuner-Triptychon“ begonnen. „Gadjo Dilo“ ist der letzte Teil. Ging es davor zumeist um die Musik der Sinti und Roma, stehen nun die Menschen im Vordergrund.

Die Beobachtung ihres Alltags setzt Gatlif zu einem Porträt einer diskriminierten Gruppe zusammen, die sonst, wenn überhaupt, meist nur unter folkloristischen Vorzeichen wahrgenommen wird. Eine Idylle ist dabei nicht entstanden. Gatlif beschönigt nichts. Manchmal schreckt das auch ab. Doch erkennbar geht es dem Regisseur vor allem um eine Qualität, die sonst oft zu kurz kommt: Ehrlichkeit.

„Gadjo Dilo“, Buch und Regie: Tony Gatlif, Kamera: Eric Guichard. Mit: Romain Duris, Izidor Serban, Rona Hartner, Valentin Teodosiu, Ovidiu Balan, Mandra Ramcu, Dan Stileanu, Radu Ramcu u.a., Frankreich 1997, 100 Min.