Kabilas Kalkül scheint aufzugehen. Mit militärischer Unterstützung „befreundeter“ Nachbarländer hat der Präsident der Demokratischen Republik Kongo den Aufstand der Rebellen aus dem Osten, wie es aussieht, erfolgreich zurückgedrängt. Jetzt könnte im Kongo eine afrikanische Despotie alten Schlages entstehen. Von Dominic Johnson

Geniestreich eines Spielers

Afrikas größter Spieler hat es wieder einmal geschafft. Laurent- Désiré Kabila, noch vor einer Woche scheinbar dem Untergang geweihter Präsident der Demokratischen Republik Kongo, ist der Gewinner der Krise in seinem Land. Äußerst geschickt hat der kongolesische Präsident die Widersprüche seines Landes zum eigenen Vorteil instrumentalisiert. Und nachdem er schon 1997 mit Hilfe anderer, jetzt von ihm bekämpfter ausländischer Armeen den zairischen Diktator Mobutu verjagte, sind es auch heute ausländische Armeen, die ihm die Macht in Kinshasa sichern.

Ein Blick auf Kabilas Karriere verdeutlicht sein Talent. In den 60er Jahren war Kabila ein wenig vertrauenswürdiger Guerillaführer im Kreise von Rebellen, die das Vermächtnis Patrice Lumumbas weiterführen wollten, jenes Befreiungshelden, der kurz nach der Unabhängigkeit des Kongo im Jahre 1960 ermordet worden war. Kabilas Rebellen wurden schließlich nach einem blutigen Feldzug von der Armee Mobutus geschlagen.

In den 70er und frühen 80er Jahren galt Kabila als Berufsrevolutionär, der in entlegenen Buschkommunen nahe der Grenze zu Tansania mit seiner maoistischen „Partei der Volksrevolution“ (PRP) sozialistische Utopien verfolgte. In den 80er und frühen 90er Jahren gab sich Kabila als Geschäftsmann, der weitab von der politischen Bühne in trüben Gewässern fischte und in der Welt der Schmuggler Ostafrikas einträgliche Kontakte pflegte.

Ab Oktober 1996 war er dann plötzlich der relativ unbekannte Anführer einer Rebellion, von der alle glaubten, sie sei eine Kreation Ruandas, deren Regierung Kabila an die Spitze der „Allianz Demokratischer Kräfte für die Befreiung Kongo/Zaires“ (AFDL) gehievt habe, um die zairischen Buschkämpfer besser kontrollieren zu können. Innerhalb von nur sieben Monaten war er Staatspräsident im Kongo.

Nur ein Spieler konnte wohl so schnell ein Land übernehmen, das in 30 Jahren Mobutu-Herrschaft bereits zu einer Spielwiese verkommen war. Mobutu als Präsident Zaires gerierte sich als genüßlicher Autokrat auf einer ewigen Baustelle. Sein Nachfolger Kabila als Präsident des Kongo glich einem Kind, das man in einen viel zu großen Sandkasten gesetzt hat. Er fühlte sich allmächtig, vergraulte Rivalen und Freunde.

Von den anderen drei Politikern, die mit ihm am 18. Oktober 1996 offiziell die AFDL gegründet hatten, ist heute einer tot, einer sitzt im Gefängnis, und einer gehört zur Führung der aktuellen Rebellion gegen Kabila. Die vielfältigen politischen Strömungen, die bis zum Mai 1997 die zairische Politik unter Mobutu zu einem der buntesten und zugleich erfolglosesten Schauspiele der afrikanischen Demokratisierung gemacht hatten, sind heute nur noch dem Namen nach präsent.

Kabilas AFDL wollte den Kongo neu erfinden; alles Bestehende war wertlos, da von Mobutu kontaminiert. Das galt auch für die Lebenserfahrungen der Kongolesen. Deren diffuser Unmut darüber, was sich da im Namen der Befreiung als neuer Staat etabliert hatte, der nun endlos „Wiederaufbau“ predigte, richtete sich nicht nur gegen die Regierung Kabila, sondern vor allem gegen die Nachbarstaaten Ruanda und Uganda, denen ein wesentlicher Einfluß auf Teile von Politik und Wirtschaft im Kongo nachgesagt wurde. Der Kampf gegen „die Ruander“, „die Tutsi“ und deren „Marionette Kabila“ bestimmte die Oppositionspropaganda gegen die AFDL.

Kabilas Geniestreich ist es gewesen, sich an die Spitze dieser Propaganda zu stellen. Schon im vergangenen Herbst mehrten sich die Anzeichen, daß Kabila sich von Ruanda ab- und tendenziell nützlicheren Freunden wie Angola zuwenden wollte. Am 27. Juli 1998 eröffnete Kabila den Kampf, indem er die Ausweisung der ruandischen Soldaten aus dem Kongo befahl. Fünf Tage später begann der ruandisch geführte Militäraufstand, der sich dann zur Rebellion gegen die Diktatur erklärte. Und heute herrscht im Kongo Krieg zwischen Ruanda und Angola, mit Uganda und Simbabwe in Nebenrollen – und Kabila als lachender König, der sich nicht einmal selber exponieren muß.

Wer da wessen Planung durchkreuzt hat, wird wohl noch jahrelang Gegenstand von Spekulationen bleiben. Die Revolte gegen Kabila war von langer Hand geplant: Soldaten der Banyamulenge-Tutsi hatten schon im Februar revoltiert, unter ehemaligen Mobutu-Größen kursierten ebenfalls Pläne zum bewaffneten Kampf, und die Kombination beider Optionen erscheint nicht abenteuerlicher, als es 1996 die Gründung der AFDL war. Aber der unmittelbare Anlaß, die Säuberung der Armee, ging von Kabila aus. Und auf die Revolte reagierte er dermaßen prompt, daß er kaum überrascht gewesen sein kann.

Die antiruandische Propaganda und die Völkermordhetze gegen kongolesische Tutsi, die Kabilas Staatsapparat verbreitet, wirkt eingespielt und zielgerichtet. Sie ist keine Verzweiflungstat eines Todgeweihten, sondern Teil eines Kalküls, das die künftige Ausrichtung des Regimes festlegt: die eines aggressiven Nationalismus mit einem aggressiven Führer. Die schon seit Juni zu beobachtenden Annäherungen zwischen Regierung und Teilen der bisherigen Opposition, etwa bei der Ablehnung des UN- Berichts über Massaker an ruandischen Flüchtlingen während des Bürgerkrieges, erscheinen da in einem neuen Licht.

„Kabila hat die Sprache des Volkes übernommen“, meint anerkennend ein kongolesischer Intellektueller, der Kabila bislang eher kritisch gegenüberstand. „Wenn heute gewählt würde, könnte er über 90 Prozent der Stimmen holen.“ Kabilas Rechnung ist im Begriff aufzugehen, und wenn alles so weiterläuft wie bisher, entsteht in Kinshasa mit Hilfe Angolas eine afrikanische Despotie alten Schlages, die auf absehbare Zeit niemand mehr herausfordern wird.