Richter Kleppeck macht kurzen Prozeß

■ Diebstahl, Prügeleien – immer mehr Fälle werden in beschleunigten Verfahren abgehandelt

Berlin (taz) – Christa R. steht vor Gericht und zittert. Die rundliche Frau hat im Supermarkt geklaut. Drei Bier, eine Cola, ein Päckchen Butter und einen Bierschinken, Gesamtwert 9,53 Mark. „Also, das konnte ja nur ein Minusgeschäft werden“, sagt der Richter. Da ist es aus mit Christa R.s Fassung. „Ich schäm' mich so“, schluchzt sie, „ich war mit‘m Geld so knapp.“ Der Blick, den der Richter durch seine randlose Brille in den Saal schickt, will sagen: „Was soll ich mit dieser Frau bloß machen?“

Frank Kleppeck heißt der schmächtige Mann im schwarzen Talar, ist 48 Jahre alt und Richter am Berliner Bereitschaftsgericht. Die Angeklagte Christa R. ist 1938 in Berlin geboren, Hausfrau von Beruf. Ihr Mann arbeite „uff‘m Bau“, verdiene 2.500 Mark im Monat, 580 Mark davon gingen für die Miete ab. Frank Kleppeck zückt den Registerauszug von Frau R. Schon dreimal ist sie beim Klauen erwischt worden, dreimal hat sie eine saftige Geldstrafe zahlen müssen. „Das muß mal aufhören“, sagt Kleppeck zu ihr. „Ich mach‘ das nie mehr“, sagt die Angeklagte. Mit einer Geldstrafe soll sie diesmal nicht davonkommen, die Amtsanwältin plädiert für zwei Monate auf Bewährung. „Was sagen Se dazu?“, fragt der Richter. Christa R. nimmt die Strafe an. Kleppeck verliest das Urteil, die Angeklagte darf gehen.

Gerade mal fünfzehn Minuten hat die Verhandlung gedauert, mehr Zeit ist für einen Prozeß am Berliner Bereitschaftsgericht auch nicht drin. An einem Vormittag werden hier bis zu 20 Fälle verhandelt, vier Tage die Woche, ausschließlich Kleindelikte, das zu erwartende Strafmaß darf ein Jahr Freiheitsstrafe nicht übersteigen. 70 Prozent der Fälle sind Diebstähle, 15 Prozent Verkehrsdelikte und 10 Prozent häusliche Gewalt. Die Angeklagten seien meist arme Menschen, sagt Richter Kleppeck, viele Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger.

„Kurze Prozesse“ sind Kleppecks Metier, der Gesetzgeber spricht vom „beschleunigten Verfahren“. Im Rahmen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes wurde es 1994 unter Paragraph 417 in der Strafprozeßordnung verankert. Pädagogischer Zweck des Gesetzes: Folgt die Strafe der Tat auf dem Fuß, ist die erzieherische Wirkung um so größer. Möglich ist ein Schnellverfahren aber nur, „wenn die Sache aufgrund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist“. Der Staatsanwalt kann dann die Anklage mündlich in der Hauptverhandlung erheben, auf langwierige Formalien wie Anklageschrift, Verteidigung und Beweisaufnahme kann verzichtet werden.

In Berlin hat die ehemalige Justizsenatorin Lore Maria Peschel- Gutzeit (SPD) die Schnellverfahren 1994 vorangetrieben, ihr Nachfolger Ehrhart Körting (SPD) setzt alles daran, die Zahl der beschleunigten Verfahren weiter zu steigern. 1997 behandelte das Berliner Bereitschaftsgericht 1.847 Fälle; im ersten Halbjahr 1998 waren es bereits 935, wie die Berliner Justizsprecherin Svenja Schröder mitteilt. Noch steigern wolle man die Zahl der „besonders beschleunigten Verfahren“ für Straftäter mit Wohnsitz außerhalb Berlins. Für die sind zwei zusätzliche Bereitschaftsrichter abgestellt, die ihre Urteile innerhalb von 24 Stunden nach der Tat fällen – 1997 waren das 349 Urteile, Tendenz steigend.

Erfolgsmeldungen wie „Rechtskräftige Verurteilung zwölf Stunden nach der Tat“ kommen am häufigsten aus Brandenburg, dem Bundesland mit den meisten beschleunigten Verfahren: 3.462 Straffälle wurden dort 1997 im Ruckzuck-Verfahren abgehandelt, durchschnittlich innerhalb von 36 Stunden. „Noch schneller als bei uns geht's nicht“, sagt Justizsprecher Henning Baumeister. Man erhoffe sich eine abschreckende Wirkung.

Bundesweit machen die Gerichte von den schnellen Prozessen nur zögerlich Gebrauch. Nach der Reform von 1994 sei das beschleunigte Verfahren noch als „kurzer Prozeß“ ideologisch befrachtet gewesen, sagt Bernhard Böhm vom Bundesjustizministerium. 1996 habe es in Deutschland aber schon 20.201 beschleunigte Verfahren gegeben. Das entspricht einem Anteil von 2,53 Prozent an allen Strafverfahren. Im vergangenen Jahr stieg der Anteil erneut. In Brandenburg werden 14,2 Prozent aller Anklagen im Schnellverfahren erledigt.

Neben dem angeblich pädagogischen Effekt gibt es einen schwerwiegenderen Grund, die Schnellverfahren voranzutreiben: die hoffnungslose Überlastung der deutschen Amtsgerichte. Bei den Richtern liegt das Personaldefizit durchschnittlich bei 20 Prozent. „Das kann kein Grund sein, die Rechte der Angeklagten zu beschneiden“, findet Swen Walentowski vom Deutschen Anwaltsverein. Anwälte sehen das Verfahren kritisch, vor allem wegen des eingeschränkten Beweisantragsrechts des Angeklagten. Heike Spannagel