Ohne Wahlrecht, aber nicht stimmlos

■ Die „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen“ versucht, dem Wahlkampf der Schröders und Kohls etwas entgegenzusetzen. Aufmerksamkeit für jene, denen das Leben immer schwerer gemacht wird

Berlin (taz) – Ob sie wollen oder nicht – sie haben gar nicht das Recht, ihm ihre Stimme zu geben: Während Gerhard Schröder am Samstag mittag mit markigen Worten für einen Neuanfang und die Ablösung Helmut Kohls warb, trommelten nur wenige hundert Meter entfernt Migranten und Flüchtlinge für ihre Rechte. Das Motto: „Wir haben kein Wahlrecht, aber eine Stimme“.

Dabei ging es den etwa hundert Menschen, die auf dem Berliner Alexanderplatz zusammengekommen waren, um viel mehr als nur das simple Recht, ein Kreuz zu machen. „Gleiche Rechte für alle“ wurden gefordert, „für alle Menschen überall auf der Welt“, die Anerkennung aller Asylsuchenden. Und die Abkehr vom neuen Polizeikonzept zero tolerance (Null Toleranz), das dazu führen kann, daß Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in die Arme der Polizei und damit in die Abschiebung getrieben werden. „Innere Sicherheit“, so ein Sprecher, „richte sich zuerst gegen die, die anders aussehen. Dies ist ein öffentlicher Platz, auf dem die Auswirkungen besonders deutlich werden.“ Der Alexanderplatz nämlich ist ein von der Polizei zum „gefährlichen Ort“ deklarierter Platz. Das heißt: Hier dürfen Ordnungshüter Personenkontrollen durchführen, auch wenn keinerlei Verdachtsmomente für eine Straftat vorliegen.

Nach Bremen, Hamburg, Lübeck, Kiel und Rostock war Berlin bereits die sechste Station der „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen“, die bis zur Bundestagswahl fünf Wochen lang durch die Republik zieht. Der Bus fährt 40 verschiedene Orte im Land an, um die Lage derer in die Öffentlichkeit zu tragen, die in diesem Land politisch nicht mitreden dürfen. Den Abschluß bildet ein Kongreß in Köln am 19. September. In Gang gesetzt wurde die Karawane vom Internationalen Menschenrechtsverein in Bremen.

„Gerade im Wahlkampf nimmt der Druck auf Flüchtlinge und Migranten enorm zu“, sagt Viraj, einer der Initiatoren, „gleichzeitig gibt es kaum Gegendruck. Wenn wir nicht wenigstens versuchen, uns selber zu organisieren, werden wir irgendwann völlig gegen die Wand gedrückt.“ So ist die Karawane, die an Orte zieht, an denen die Einwanderungspolitik besonders deutlich wird – Grenzposten, Abschiebegefängnisse, Ausländerbehörden – auch ein Versuch, Migranten aller Couleur und Herkunft ungeachtet ihres Aufenthaltsstatus zusammenzubringen. Der gemeinsame Nenner der Organisatoren ist der Kampf für Menschenrechte und Gleichberechtigung. „Alles andere ist nebensächlich“, so Viraj. Es kommt aber auf die Einwanderer selber an, meint Thuy Nonnemann vom Berliner Vietnam-Haus: „Viele von uns kennen sich hier gut genug aus, wir kennen die Regeln und die Gesetze. Es liegt an uns, was wir daraus machen.“

So war auch das Wochenende, das von zahlreichen Berliner Flüchtlings- und antirassistischen Initiativen vorbereitet worden war, von Austausch und Annäherung gekennzeichnet. Bei einer Podiumsdiskussion stellten sich diverse Vertreter von Gruppen vor, die noch nie voneinander gehört hatten. Deutlich wurde dabei, daß tamilische, kurdische oder iranische Aktivisten zwar intensiv mit der Lage in ihren jeweiligen Heimatländern beschäftigt sind, aber kaum miteinander.

Das soll sich nun ändern, weil sich die Erfahrungen gleichen. Fast alle sprachen von Angst, von Bürokratie, Diskriminierung, Ungerechtigkeit, manche von Verzweiflung, aber auch von Wut. Oder von der Resignation all derer, die nicht erschienen waren. „Wir sind keine hungernden Tiere, sondern Menschen, die vor von Menschenhand kreierten Bedingungen geflüchtet sind. Und wir werden nicht aufhören, unsere Länder zu verlassen“, beschrieb ein junger Angolaner die Situation der Flüchtlinge.

Ein anderes Thema war der von Innenpolitikern aller Couleur in diesen Wochen so intensiv bemühte Begriff der Integration. Denn auch diese an die Einwanderer gerichtete Forderung ließe sich mühelos umdrehen: „Wir fordern das Recht, die deutsche Sprache zu lernen“, formulierte einer unter heftigem Applaus. „Für uns alle!“ Jeannette Goddar