Kalte Schauer über Norwegens Wirtschaft

Sinkende Ölpreise, eine durch die Asienkrise geschwächte Reedereiwirtschaft und eine schwache Regierung heizen die Spekulation gegen die Krone an. Der Notfonds aus Ölgewinnen soll gar angezapft werden  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

Auch für wirtschaftliche Wunderknaben geht irgendwann die Hochkonjunktur zu Ende. Mit dieser Erfahrung dürften sich die NorwegerInnen bald wieder vertraut machen, auch wenn es lange den Anschein hatte, daß ihre von Ölgeldern gedopte Wirtschaft auf Dauer eine europäische Sonderrolle spielen könnte.

Norwegen ist nach Saudi-Arabien der weltweit zweitgrößte Erdölexporteur. Von Ölpreisschwankungen war die Gesamtökonomie daher zwar schon immer abhängig, ohne daß diese aber die seit einem knappen Jahrzehnt stetig nach oben weisenden Wirtschaftszahlen nachhaltig gedrückt hätten. Doch diesmal ist das Preisniveau so tief nach unten gesackt, scheint dort so nachhaltig bleiben zu wollen und ist mit anderen negativen ökonomischen und politischen Faktoren zusammengetroffen, daß es ernst zu werden verspricht. Einen Einbruch prophezeien die KonjunkturexpertInnen, einen kräftigen noch dazu.

Die Finanzmärkte haben sich schon einmal warmspekuliert. Die Krone ist auf den niedrigsten Kurs seit 1992 abgesackt, und die norwegische Währung – sie gehört nicht zum europäischen Währungsverbund – muß sich gar mit Abwertungsgerüchten herumschlagen. Die Nationalbank hat den Leitzinssatz seit März von 3,75 auf 7 Prozent fast verdoppelt – der letzte 1,5-Prozent-Sprung kam vergangene Woche –, um dieser Spekulation entgegenzuwirken.

Obwohl Norwegen nun vier Prozent über dem europaweit als Maßstab geltenden deutschen Zinssatz liegt, blieb die erhoffte Wirkung aus. Die Spekulation hat Fakten auf ihrer Seite: Neben dem Ölpreistief eine von der Asienkrise heftig getroffene Reedereiwirtschaft, stark gesunkene Aluminiumpreise, die eine wichtige Schlüsselindustrie treffen, und eine christdemokratische Minderheitsregierung, die stetige politische Instabilität verspricht. Sie ist in Konflikte mit der Nationalbank verwickelt, mit der sich öffentlich über die künftige Finanzpolitik gestritten wird. Zunehmend wird damit gerechnet, daß die konservative Regierung den Herbst nicht überleben wird, doch eine einigermaßen stabile Alternative ist nicht in Sicht.

Mit Lohnerhöhungen, die teilweise bei sechs bis sieben Prozent lagen, konnten die NorwegerInnen in diesem Jahr zwar noch einmal kräftige reale Einkommensverbesserungen erzielen. Die aber verspricht die in Gang gekommene Inflation schnell aufzufressen. Auf den Arbeitsmarkt dürfte sich der Konjunktureinbruch nicht unmittelbar auswirken – es herrscht in vielen Branchen sogar Arbeitskräftemangel. Doch bis zum Jahr 2000 wird die Arbeitslosigkeit wieder zum Thema werden: mit einer Verdoppelung auf vier Prozent wird gerechnet. Auch am beruhigenden Handelsbilanz- und Budgetüberschuß dürfte sich nicht so schnell etwas ändern – falls der Ölpreis nicht noch mehr in den Keller rutscht.

Auf einen Ölfonds von fast 30 Milliarden Mark, den Norwegen wohlweislich für schlechte Zeiten angelegt hat, kann die Regierung zur Not zurückgreifen. Das wäre dann aber wesentlich früher als geplant: Der Fonds ist eigentlich zur Sicherung des Landes für das Nach-Öl-Zeitalter gedacht. Empfindlicher dürften die Privathaushalte von den Finanzspekulationen und den davon ausgelösten Zinssteigerungen getroffen werden, da sich die BürgerInnen wie zu Beginn der achtziger Jahre kräftig über ihre Verhältnisse verschuldet haben.

1986 hatte das mit einem gewaltigen Bankencrash geendet. Die Wirtschaft konnte sich vier Jahre lang davon nicht erholen. Der Crash hatte zwischenzeitlich zu einer faktischen Verstaatlichung der Banken geführt, deren Spekulationsverluste über den Staatshaushalt die Allgemeinheit tragen mußte. So massiv soll es diesmal nicht werden, versprechen FinanzanalytikerInnen den NorwegerInnen. Doch die goldenen Jahre scheinen unwiderruflich vorbei.