Anonym und kostenlos

■ Das "Büro für medizinische Flüchtlingshilfe" vermittelt "Illegalen" medizinische Behandlung

Ganz schlicht ist das kleine Büro eingerichtet: Nur ein Tisch, ein paar Stühle und ein Telefon stehen in einem kargen, hellen Raum. Durch eine hohe Fensterfront schaut man von der ersten Etage in den Innenhof des selbstverwalteteten Mehringhofes hinunter. So einfach und unscheinbar das „Büro für medizinische Flüchtlingshilfe“ ausgestattet ist, so unbürokratisch und diskret soll die Hilfe sein, die hier geleistet wird. Hunderte kranke Menschen, die nicht wußten, wo sie sich sonst medizinisch hätten behandeln lassen sollen, konnte das Büro in zwei Jahren schon an Ärzte und Krankenhäuser vermitteln. 20 bis 30 Ausländer kommen jede Woche zu den Sprechzeiten. Kostenlos und ohne die gefährliche Frage nach dem Aufenthaltsstatus zu stellen, wird hier der Kontakt zu einem der rund 60 kooperierenden Mediziner hergestellt. Bei Bedarf übersetzen Dolmetscher, damit es zu keinen Mißverständnissen kommt.

Mindestens 100.000 Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung, in Deutschland oft herablassend „Illegale“ genannt, leben nach Schätzungen der Ausländerbeauftragten in Berlin. „Unsere Erfahrungen haben gezeigt“, sagt Anna F., die mit 20 anderen Ehrenamtlichen den Bürodienst organisiert, „daß innerhalb der ausländischen Communities bei der Wohnungs- und Arbeitssuche geholfen werden kann. Doch Krankheit ist der Notfall, wo sie nicht mehr weiterwissen.“ Nach der Novellierung des diskriminierenden „Asylbewerberleistungsgesetzes“ im vergangenen Jahr haben nicht nur Asylbewerber, sondern auch Bürgerkriegsflüchtlinge mit Duldung lediglich Anspruch auf medizinische Versorgung im Falle von „akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen“. Chronische Krankheiten fallen sowenig darunter wie psychosomatische Leiden. Und Zahnersatz wird nur gewährt, soweit dies „aus medizinischen Gründen unaufschiebbar“ ist.

Regelrecht existenzbedrohend kann dagegen jede Krankheit für den werden, der ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland lebt: Von einer deutschen Behörde registriert zu werden liefe für ihn höchstwahrscheinlich auf eine Abschiebung hinaus. Der Streß einer heimlichen Existenz, die ständige Angst, am Arbeitsplatz oder an öffentlichen Plätzen kontrolliert zu werden, hinterlassen ihre Spuren. „Zu uns kommen immer mehr Ausländer mit psychosomatischen Erkrankungen wie Rückenproblemen, Ganzkörperschmerzen und Migräne“, sagt Anna.

Hervorgegangen ist das „Büro für medizinische Flüchtlingshilfe“ aus dem Zusammenschluß mehrerer antirassistischer Initiativen und einer Gruppe von Medizinstudenten, die sich im April 1996 entschlossen, praktische humanitäre Hilfe zu leisten und sich mit der Forderung „freie Gesundheitsversorgung für alle ohne Unterschied“ in die Politik einzumischen. Inzwischen beruft sich auch die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) auf das Büro, und sogar Bezirksämter, öffentlich finanzierte Beratungsstellen und Wohlfahrtsverbände verweisen immer wieder „Illegale“ an das Büro. Die Beratung, Vermittlung an einen Arzt und die anschließende ambulante Behandlung sind in der Regel kostenlos. Und obwohl sich das Büro allein aus den einigen tausend Mark Spenden, die pro Jahr zusammenkommen, finanziert, werden häufig auch die Kosten für Medikamente und aufwendige Laborkosten übernommen und ein Zuschuß für Brillen gewährt. „Wir suchen noch Chirurgen, Zahnärzte, Orthopäden und Hautärzte, die ambulant behandeln“, ruft Anna verantwortungsbewußte Mediziner zur Mitarbeit auf. „Immerhin haben wir in einigen Krankenhäusern einen Weg gefunden, Geburten vorzunehmen“, sagt Anna.

Grundsätzlich sei ein Krankenhausaufenthalt aber ein „riesengroßes Problem“. „Das muß gut vorbereitet werden und dauert seine Zeit. Wir haben bereits PatientInnen mit Brustkrebs, Krampfadern und Leberschäden eine Operation ermöglichen könen“, so Anna. Die Krankenhäuser sind zwar verpflichtet, im Notfall jeden zu behandeln. „Uns ist aber bekannt, daß oft erst nach dem Versicherungsstatus gefragt wird. Dadurch verzögert sich die Behandlung, und es wird in Kauf genommen, daß sich der Gesundheitszustand des Hilfebedürftigen verschlechtert.“ Nur in akuten Notfällen bleibe keine andere Lösung als die „zweifelhafte Empfehlung“, in die Notaufnahme eines Krankenhauses zu gehen. Gefährlich wird es spätestens, wenn die Krankenhausverwaltung versucht, die Behandlungskosten über das Sozialamt einzutreiben. Denn die Sozialämter sind nach einer Verordnung der Innenverwaltung dazu verpflichtet, den Fall der Ausländerbehörde zu melden – dem Flüchtling droht, direkt vom Krankenbett in Haft zu kommen und abgeschoben zu werden. Die einzige Hoffnung sei dann, „daß die Bürokratie absichtlich langsam arbeitet“.

Da man aber nicht der „Lückenbüßer für staatlich abgebaute Leistungen“ sein wolle, sei es das politische Ziel des Büros, sagt Anna F., „uns selbst überflüssig zu machen“. Irgendwann einmal. Denn solange Menschen, die keinen legalen Status haben, in Deutschland von der medizinischen Versorgung ausgeschlossen bleiben, wird die Arbeit des Büros wohl unerläßlich sein. Ole Schulz

Büro für medizinische Flüchtlingshilfe, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin, Tel.: 694 67 46, Sprechzeiten: Mo. und Do. 16.30 bis 18.30 Uhr

Steuerabzugsfähige Geldspenden an das Spendenkonto „Forschungsstelle Flucht und Migration e.V., Stichwort ,Medizinische Hilfe‘“, Kto.-Nr.: 610027263, Berliner Sparkasse BLZ 10050000