Auf der Flucht ins 23. Jahrhundert

■ FM Stroemer und der Tanz im Morgengrauen: Für das Bremer DJ-Bruderpaar sieht dieses Jahr ziemlich gut aus

Woom, woom, woom, die Bassdrum setzt ein wie eine Erlösung, und die Erschöpfung ist wieder verflogen. Zehntausend Leute heben ab, verlieren die Kontrolle und tanzen sich hemmunglos den letzten Tropfen Schweiß von der Hirnrinde. Der Mann hinter dem Pult feixt, als wäre ihm ein besonders guter Streich gelungen, und jongliert dazu mit drei Plattentellern. Stiche im Kopf. Der Magen hat sich längst verabschiedet und die Kehle brennt von billigen Drogen. Plötzlich das Geschrei, die Boxen haben zu schweigen, junge PolizistInnen machen klar, daß die Party vorbei ist und das Reich sich Ruhe ausbittet.

„Deutschland, wir werden dich in Stücke tanzen“, schnaubt einer durch die Nüstern, aber die Karawane ist schon wieder aufgebrochen, unterwegs zu einer After-Hour, die morgens um fünf Uhr beginnt, aber erst ab acht Uhr interessant wird. Die ersten Lemminge holen ihre Brötchen. Der Rausch im Kopf nimmt ab. Man pumpt sich voll Kaffee und wartet mit neuen FreundInnen, daß es wieder Nacht wird.

„Dance until the Morning Light“ tönt es derzeit in Ibiza aus den Discos, die als die wichtigsten Impulsgeber für eine Chartsplazierung gelten. Verantwortlich zeichnen dafür „FM Stroemer“, namentlich auch als das Bremer Bruderpaar Frank und Marcel Stroemer bekannt. Der Strömer wurde gerade zum „Fisch des Jahres 1998“ gewählt, ein laut Lexikon „ausgesprochen friedvoller Vertreter seiner Zunft, der das Morgenlicht vor allem in den Nebenflüssen des Rheins und der Donau erblickt“, und auch für die Jungs sieht es dieses Jahr ganz gut aus.

„Morning Light“ ist das erste eigene Debut unter dem Pseudonym „Music Instructor“ und wird am Samstag abend mit viel Tam-Tam im Kölner Visionsclub, zwischen „Missy Elliot“, „MC Lyte“ und den „Weather Girls“, auf der Popkomm präsentiert. Zeitlos trocken kommt das Stück Musik daher. Fremdartige Elektronik, aber doch organisch schön, als ginge morgens um sechs Uhr im „Modernes“ das Dach auf, und ein leichter Schauer würde die schwitzenden Massen zu neuen Höchstleistungen anspornen.

„Das Stück ist schon zwei Jahre alt, aber es hat schon diese gescratchten Vocals, wie im Speed-Garage-Sound“, befindet Frank dazu, der mit seinem Bruder unter anderem auch die „House-DJ at work“-Parties veranstaltet. „Als DJ kannst Du Dir nur einen Namen machen, wenn Du auch selbst produzierst.“

Ihre Plattenfirma hatten die beiden bereits mit verschiedenen Remixes beglückt, wobei „Rock your Body“ sogar von null auf Platz neun in den deutschen Charts notiert wurde.

Nachdem die Stroemers Anfang der 90er von Ulm an die Weser gezogen waren, begannen sie als „Underworld-Team“, House in Bremen zu etablieren. Anfangs gastierte man noch sonntags in der „Lila Eule“, später in so ziemlich jedem Laden in der Stadt, ohne sich auf eine „Location“ festzulegen, und auch die letzten Viertel-Feste waren fest in der Hand der Stroemerbuben. Man bucht sie gern und oft, zuletzt am Samstag auf der „Energy 98“ mit Goldie und den prominenten Superschurken Dr. Motte und Hooligan in der Schweiz.

FM Stroemer sind flexible Nomaden und scheuen den Begriff „Techno Pop“ mitnichten, obwohl sie weiter auf „hundert Prozent Pure House“ gepolt sind. Techno geht von einer generellen, gespielten Künstlichkeit der Welt aus und liefert den Medien deshalb aalglatte Images statt Pop-Personalities mit interessanten Biographien.

„Die Leute erwarten Gesichter auf der Bühne, und als DJ bekommt man etwas an die eigene Adresse zurück. Das ist trotzdem ein schwieriger Spagat zwischen multinationalem Konsum und einem leicht konsumorientierten Underground“, kommentiert Marcel. „Bei uns läuft die Musik über die Ohren. Mit diesem technischen Gefrickel kann ich nichts anfangen“, meint Frank und erklärt noch mal den Unterschied zwischen „Plattenauflegern“ und Künstlern, die wie verrückte Wissenschaftler mit mutierter Elektronik rumexperimentieren und ruhig auch goldene Schallplatten empfangen dürfen.

Zelebriert wird nur die Nacht, der gesamte Kontext und jeder Track ist dazu da, ihn zu benutzen, um die Stimmung zu verstärken. Die schlechtesten Tracks und Compilations bekommen trotzdem die meiste Promotion, und jeder, der ein Drum-Programm auf seiner Festplatte hat, fühlt sich zum Musiker berufen, egal wie stumpf das Ergebnis ist; die anderen können es scheinbar auch nicht besser. Speed Garage ist inzwischen meist so schlecht gehackt wie die Drogen, die dazugehören, Musik als Pufferzone gegen die Schreie der Wirklichkeit, so sagen es jene, die schon techno genug sind und die Aufbahrung der „Rolling Stones“ dem physischen Spaß der ravenden Gesellschaft weiter vorziehen werden.

Musik ist aber nicht mehr Kunst per se. Da hat der Kapitalismus den Fuß dazwischen. Musik ist ein Medium, um Ideen, Ideale und Viren zu transportieren. Ein neues System wurde installiert, und es sind noch viele Abstürze zu verzeichnen. Techno bittet um Verständnis.

So, check out www.transhuman.com and join the ranks of the young and exotic.

Tommy Blank, your friendly Soundagent