Täglich fordert der Hunger neue Opfer

Im Sudan bahnt sich eine Katastrophe an. UN-Hilfsgüter kommen bei den Leidenden nicht an  ■ Von Peter Böhm

Nairobi (taz) – Im Süden Sudans zeichnet sich nach 1988 und 1994 erneut eine Hungerkatastrophe ab. Die nüchternen Zahlen, die die Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) nach einer Feldstudie in Ajeep, einer der am schlimmsten betroffenen Regionen in Bahr-al-Ghazal, veröffentlicht hat, belegen den täglichen Hungertod. 36 Prozent der Menschen haben, gemessen an ihrer Körpergröße, nur noch 60 Prozent ihres Normalgewichts. Die „tägliche Sterberate“ liegt bei 70 Menschen von 10.000. „Bei Kindern unter 5 Jahren sind es sogar 133“, sagt die MSF-Pressesprecherin Malini Morzaria zum Vergleich.

Eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation, die gerade aus Ajeep in Bahr-al-Ghazal, im Südwesten des Sudan, zurückgekommen ist, berichtete, daß die schwachen und entkräfteten Menschen, obwohl sie in der Nähe der Verteilungsstellen kampierten, nichts von den Hilfslieferungen abbekämen. Die Sprecherin der UN-Koordinierunsgruppe Operation Lifeline Sudan (OLS), Gillian Wilcox, sagte, sie fühle sich an den „Wilden Westen“ erinnert. Im Norden Bahr-al- Ghazals operierten Banditen und bewaffnete Banden mit wechselnden Loyalitäten. „Es ist ein Krieg um die knappen Ressourcen, und wir sind besorgt, daß die besonders Hilfsbedürftigen keinen Zugang zu Nahrungsmitteln haben.“

Weil sich die UN schon in der vergangenen Woche „sehr besorgt“ über Berichte gezeigt hatten, daß die südsudanesische Rebellenorganisation SPLA eine Art Steuerabgabe für die Hilfsmittel erhoben habe, hat nun eine Polemik über den Umgang mit den Hilfslieferungen begonnen.

Pagum Amum, Handelsminister der SPLA und ihr Repräsentant in Nairobi, wirft der UN deshalb eine schlampige Verwaltung und Ineffizienz vor. „Wir sind sehr besorgt“, sagte er gegenüber der taz. „Wenn 35 Prozent der Mittel für 200 Personen vom UN-Personal aufgewandt werden, während 1,2 Millionen Menschen hungern, kann doch etwas nicht stimmen.“

Im gesamten Sudan sind im Augenblick 2,6 Millionen Menschen vom Hunger betroffen, fast die Hälfte davon in von der südsudanesischen Rebellenorganisation SPLA kontrollierten Gebieten. Mit zwölf Transportflugzeugen wird das UN World Food Programme monatlich 15.000 Tonnen Nahrungsmittel in den Sudan bringen – bei monatlichen Kosten von 30 Millionen US-Dollar.

Diese aufwendige Rettungsaktion ist notwendig, weil trotz des von Regierung und SPLA zugesicherten Waffenstillstandes die „sicheren Korridore“, die der britische Unterhändler, Außenstaatssekretär Derek Fatchet, Mitte Juli aushandeln wollte, nicht funktionieren. Die Straße von Uganda und Kenia ist bis zum Ende der Regenzeit im Oktober unpassierbar, die Bahnlinie vom Norden des Landes ist von Überfällen bedroht, und der Nil müßte an einigen Stellen ausgebaggert werden, um mit Kähnen in die Hungergebiete zu kommen.

Der Hunger im Südsudan geht auf eine Dürre im vergangenen Jahr und die ständige Vertreibung der Bevölkerung durch Kämpfe zurück und ist für die SPLA, auch wenn ihr dafür das Verständnis zu fehlen scheint, vor allem in ihrer Hochburg Bahr-al-Ghazal eine moralische Niederlage. Nachdem die Rebellenbewegung noch im Mai bei Friedensverhandlungen in Nairobi mit der sudanesischen Regierung einen Waffenstillstand mit der zynischen Begründung abgelehnt hatte, die humanitäre Situation dürfe nicht die Kriegsziele bestimmen, war der Druck der westlichen Gebernationen nun offenbar so stark, daß ein Einlenken unerläßlich wurde.

SPLA-Handelsminister Amum empfing in der letzten Woche eine Delegation der Regionalorgansiation am Horn von Afrika (IGAD), die eine neue Runde der Friedensgespräche am kommenden Dienstag in Addis Abbeba vorbereiten soll. Nachdem im vergangenen Herbst die sudanesische Regierung nach Gebietsgewinnen der SPLA und Kriegsmüdigkeit in Schwierigkeiten schien, ist bei den nächsten Gesprächen der Druck auf seiten der SPLA.

Denn die Regierung hat im Mai ein international überwachtes Referendum zur Selbstbestimmung der südlichen Landesteile zugesagt, was zwei getrennte Staaten möglich macht. Die Regierung beruft sich auf die Grenze von 1956, als aus zwei separat von Großbritannien verwalteten Gebieten ein unabhängiger Staat wurde. Die SPLA will jedoch das Referendum auf zwei Gebiete, die sich im Norden befinden, ausdehnen: die Nuba-Berge, wo die Bevölkerung aus Angst vor einer Eingliederung in einen islamistischen Nordsudan bereits zusammen mit der SPLA kämpft; und den rohstoffreichen südlichen Teil der Blue-Nile-Region, an der Grenze zu Äthiopien und Eritrea, den die SPLA und mit ihr verbündete Gruppen schon kontrollieren.