Vom islamischen Revolutionär zum Reformer

■ Der Teheraner Bürgermeister erfreut sich großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Er interessiert sich weniger für religiöse Visionen als für alltägliche Probleme. Hardliner beschimpfen ihn als „Liberalen“

Berlin (taz) – Er gilt als Teherans Saubermann, doch seine Gegner behaupten, er habe Dreck am Stecken. Seit Gholam Hossein Karbaschi das Amt des Oberbürgermeisters von Teheran übernahm, hat sich das Bild der 15-Millionen-Stadt verändert: Statt Müllhaufen an den Straßenrändern sieht man jetzt Abfalleimer. Der Verkehr wurde durch den Bau von Umgehungsstraßen entwirrt und das Leben von Fußgängern ist Dank der Einrichtung von Fußgängerbrücken ein bißchen weniger gefährdet.

Zusätzliche Beliebtheit erlangte Karbaschi als Herausgeber der Zeitung Hamschahri (Mitbürger). Das vierfarbige Blatt schaffte es mit einer Mischung aus Allerweltsthemen und dosierter Kritik an Mißständen zum auflagenstärksten Blatt des Landes zu werden. Der Ableger Aftebekar richtet sich an die Kinder der Islamischen Republik.

Die politische Karriere des 1953 in der Stadt Qom gebohrenen Karbaschi begann revolutionär. Als Student erst der islamischen Theologie, dann der Mathematik war er in den siebziger Jahren ein glühender Anhänger von Ajatollah Chomeini. Deswegen landete er im Kerker des Savak, des Geheimdienstes des Schah.

Nach dessen Sturz im Jahr 1979 machte Revolutionsführer Chomeini Karbaschi erst zu seinem Vertreter bei der Gendarmerie und dann zum Fernsehchef. Erste Erfahrungen in Sachen Stadtverwaltung machte Karbaschi ab 1981 als Bürgermeister der Stadt Isfahan. Dort war er so erfolgreich, daß ihn 1989 der damalige Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani in die Hauptstadt holte.

Neben seiner Arbeit als Stadtoberhaupt engagierte sich Karbaschi in der Landespolitik. Bei Rafsandschanis wirtschaftsliberal orientierten „Dienern des Aufbaus“ entwickelte er Qualitäten eines Politprofis. Im vergangenen Jahr organisierte er den Wahlkampf von Mohammad Chatami. Mit Erfolg: Entgegen des Kalküls der konservativen Machtelite siegte der als vergleichsweise moderat geltende Präsidentschaftskandidat.

Karbaschi gilt als Pragmatiker, seine Feinde schimpfen ihn einen „Liberalen“ – eine Schmähung, die in der Islamischen Republik gleich nach dem „großen Satan“ (USA) und dem „kleinen Satan“ (Israel) kommt. Den Ruf verdankt er dem Umstand, daß er sich weniger für religiöse Visionen als für Alltagsprobleme interessiert und bei deren Lösung auch nicht vor westlichen Methoden zurückschreckt. Wie jeder, der in der Islamischen Republik politisch überleben will, beteuert er sein Bekenntnis zu den Prinzipien der islamischen Revolution. Doch fast zwei Jahrzehnte nach dem Ereignis hat er gelernt, daß auch ein Islamischer Staat eine funktionierende Wirtschaft, Infrastruktur und Sozialsystem braucht. Äußerliches Zeichen dieser Einsicht ist Karbaschis Kleidung. Obwohl er den religiösen Titel des Hodschatolislam trägt, kleidet er sich längst nicht mehr im Mullahlook, sondern bevorzugt westliche Anzüge. Thomas Dreger