Aura wie ein Spiegelei

Clubs: Entweder sie sind schon wieder weg, oder es ist der falsche Tag. Oder man fotografiert sie einfach mal bei Tage ... Nina Fischer und Maroan el Sani taten's  ■ Von Jenni Zylka

Was macht ein Phantom aus?

1. Es ist schwer zu fassen.

2. Es erscheint nicht regelmäßig.

3. Es fasziniert die Menschen.

4. Phantomjäger wie John Sinclair arbeiten nachts.

Phantomschmerz ist der Schmerz in nicht (mehr) vorhandenen Körperteilen, und „Phantomclubs“ heißen die Farbfotos von den Eingängen verschiedener Clubs und Bars in Mitte, die das Berliner Künstlerpaar Nina Fischer und Maroan el Sani im Rahmen einer Ausstellung mehrerer Arbeiten in der Galerie Eigen + Art in der Auguststraße zeigen.

Die Fotos wurden in der Mittagssonne gemacht, die nachts belebten Orte sind menschenleer und die Clubeingänge in der Umgebung abbruchreifer Häuser verwaist und kaum auszumachen. „Die Läden sind wie Phantome“, konstatieren die beiden Künstler. „Man hat davon gehört, aber oft sind sie schon wieder weg, wenn man das erste Mal hinkommt, oder es ist der falsche Tag.“ Im Ausstellungsraum entsteht ein großes Rätselraten, jeder Besucher will einen oder mehrere der Clubs kennen, meistens geht es um „Dienstags-“ oder „Freitagsbars“, die aber an anderen Wochentagen geöffnet haben.

Die Clubgänger Fischer und el Sani haben noch einen Kurzfilm zum Thema gedreht, darin macht ein Berliner DJ mit seiner Freundin einen Ausflug nach Marzahn, um dort eine „Location“ für einen Club zu sichten. „Der Trend geht weg von Mitte, wo alles abgerissen oder teuer saniert wird“, sagen die Künstler. „Wir verstehen allerdings auch nicht, wie man für Raves oder Parties nach Marzahn gehen kann. Wir treiben diesen Trend im Film nur auf die Spitze... Wir sind Skeptiker, so wie der ,Bezirksschreiber‘, den die beiden Protagonisten in Marzahn treffen.“

Am hintergründigsten und ironischsten ist indes eine ältere Arbeit, die im ersten Stock der Galerie hängt: „Aura Research“ nennen die Künstler die Fotos von Arbeits- und Erholungsräumen berühmter Köpfe (Brechts Studierzimmer, Einsteins Sommerhaus). Neben jedem Farbfoto eines leeren, sonnendurchfluteten Raumes hängt ein dazugehöriges Bild, das wie von der Viking-Sonde nach Hause gefunkt scheint. Unregelmäßige Flecken in Blau oder Rot auf dunklem Hintergrund, manchmal von hellen Lichtimpulsen unterbrochen: „Kirlian-Fotos“, benannt nach dem russischen Ehepaar, das mit diesen Hochfrequenzfotos in den 30ern angeblich die Aura, den Energiefluß des menschlichen Körpers, festhalten konnte.

Von Esoterikern, Geisterheilern und Medien gleichermaßen begeistert aufgegriffen, wenden Fischer und el Sani diese Technik auf Orte an, an denen wirklich jede Menge Aura konserviert sein müßte. „Irgendwas wird bestimmt festgehalten auf unseren Bildern. Ob das nun tatsächlich die geistige Energie ist...“ halten sich die beiden Künstler vornehm in der Interpretation zurück.

Aber Aberglaube hin und her: Auf dem Aurafoto der Kirche, in der Nietzsche 1844 getauft wurde, kann man mit etwas Phantasie tatsächlich eine kreuzförmige Lichtfleckenkonstellation erkennen – genau dort, wo auf dem normalen Foto der Altar steht. Erich Honneckers Büro sieht auf dem Kirlian-Bild allerdings aus wie ein Spiegelei. „Im Zentrum des Eidotters stand aber Honneckers Schreibtisch“, trumpfen die Künstler lachend auf.

Mit Zukunftsvisionen beschäftigt sich die dritte Arbeit im Keller der Galerie. Zehnsekündige Videoclips, die Fischer und el Sani während ihrer Ausstellung im Tokyo Metropolitan Museum of Photography realisierten, zeigen immer wieder die nachdenklich stummen Gesichter von Tokioter Jugendlichen, die aufgefordert wurden, in die Kamera zu schauen und zehn Sekunden an die Zukunft zu denken.

Als Betrachter versucht man, in ihren undurchdringlichen Minen zu lesen: Was heißt Zukunft für eine einundzwanzigjährige Tokioterin? „Wir haben gefragt, was wohl im Jahre 2000 passieren wird. Die meisten erwarteten ,riots‘, also Aufstände, selten redete jemand von Kindern und Heile-Welt- Phantasien“, berichtet Nina Fischer. An was wohl Berliner und Berlinerinnen bei dieser Frage denken würden: Hertha im Uefa- Cup? Love Parade verlegt nach Ballermann 6?

Noch bis 22. 8.: Nina Fischer und Maroan el Sani, „Phantomclubs“ und „Aura Research“ (Farbfotografien), sowie „10 Sekunden an die Zukunft denken – Tokio (sur)face“ (Filmclips, Videoloop) in der Galerie Eigen + Art, Auguststr. 26, Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 11–17 Uhr

Außerdem am 8. 8.: „Klub 2000 – Rom, Paris, Marzahn“ (Kurzfilm, 16mm, s/w, 12 Min.) im Cinema Paris, Kurfürstendamm 211, 12.30 Uhr