Präraffaelitische Haarfluten

Ein im Halbdunkel dümpelnder Kostümschinken statt großen Gefühlsdramas: Ian Softley verfilmte „Die Flügel der Taube“ nach einem Roman von Henry James. Am Ende werden die Charaktere immer blasser  ■ Von Marion Löhndorf

Soviel Publikumsgunst wie den Jane-Austen-Filmen war den jüngsten Leinwandadaptionen von Henry-James-Romanen nicht beschieden. Vielleicht weil sie, ihrem Vorbild gemäß, zur allzu epischen Ausbreitung von Düsterkeit und Verstrickungen neigten, vielleicht weil die Figuren für den Film zu kompliziert waren, um sie wirklich lieben oder ablehnen zu können. Alles verwaberte im Wenn und Aber, im Sowohl-Als-auch: Jeder hatte irgendwie recht und alle hatten viel Pech. Weder „Washington Square“, noch „Portrait of a Lady“, beides ehrgeizige Projekte, waren künstlerisch befriedigend. Nun gibt es einen neuen in der langen Reihe von Henry-James-Filmen: „The Wings of the Dove“ – „Die Flügel der Taube“.

Es spielt die Königin der anspruchsvollen Kostümfilme, die schöne Helena Bonham-Carter. Sie ist, wie in ihrer besten James- Ivory-Zeit, von präraffaelitischen Haarfluten umgeben, gekrönt von Hüten in Wagenradgröße: eine Femme fatale in finsterer Sexiness. Sie spielt Kate Croy, die mittellose Tochter eines finanziell ruinierten Londoners. Kate lebt auf Kosten ihrer reichen Tante Maude und gerät in den Zwiespalt zwischen der Leidenschaft zu einem Mann und der Liebe zum Geld. Tante Maude bietet ihr ein Leben in Luxus und verlangt dafür die Heirat mit einem Lord; Kate selbst hat längst eine heimliche Affäre mit dem mittellosen Journalisten Merton Densher. Der Zufall bringt eine reiche Erbin aus Amerika ins Spiel. Die ist ein sanfter Engel, der Liebe, Ehre und Moral aller sie Umgebenden auf eine harte Probe stellt. Milly, todkrank und schon etwas siech, befreundet sich mit Kate und verliebt sich in Merton. Kate spinnt eine Intrige, der sie zum Schluß nicht gewachsen ist. Merton soll Milly für sich gewinnen und sie nach ihrem bald erwarteten Tod beerben.

Anders als der Roman versucht Ian Softleys Film, sich moralischer Stellungnahmen möglichst zu enthalten. Er macht Milly etwas – aber nur etwas – menschlicher: eine fast ärgerlich weltfremde Jugendstilfigur, die dem Leben den letzten Rest an Süße abtrotzen will. Kate wird weniger berechnend geschildert, sondern vielmehr als Zerrissene und vor allem: als Opfer ihrer eigenen Lebensumstände. Selbst von der Tante in bestimmte Lebensumstände gedrängt, wird sie ihrerseits zur Manipulatorin. Die Intrige wird zum einzig greifbaren Ausweg aus der Machtlosigkeit. Das Problem, das Film und Roman mit Kates Charakter haben, liegt in der unauflösbaren Spannung zwischen ihrer behaupteten großen Leidenschaft (und Leidensbereitschaft) im Verhältnis zu Merton auf der einen Seite und ihrer Kaltblütigkeit gegenüber Milly auf der anderen Seite. Außerdem läßt uns der Film im unklaren darüber, ob Kate Croys Motiv für die angestrebte Verbindung von Merton und Milly tatsächlich auf reinem Gewinnstreben basiert. Vorstellbar wären auch schwärmerisch romantische oder masochistische Gefühle: Will sie der Todkranken einen letzten Wunsch erfüllen, aus Selbstquälerei oder melodramatischer Opferbereitschaft? So gerät die Zentralfigur zwischen mehreren denkbaren Polen ins Schlingern. Leider hat das nicht den vielleicht gewünschten Eindruck von Geheimnis und Komplexität zur Folge. Je mehr Wendungen Kate Croy in den 102 Filmminuten vollzieht, desto mehr verliert sich das Interesse an ihrem Charakter: Sie wird immer blasser, unbestimmter und richtungsloser. Helena Bonham-Carter bewahrt jedenfalls eisern Haltung und läßt sich wenig anmerken. Dunkle Blicke, ansonsten Hang zum Pokerface; ihre Oscar- und Golden-Globe-Nominierungen dafür müssen ein Rätsel bleiben.

Ähnlich steht es um Merton Densher. Mit Linus Roache ist er hübsch und matt besetzt; er wird unter Croys Regie eine widerwillig funktionierende, sich zuletzt halbherzig widersetzende Marionette.

Die Faszination, die von ihm auf Milly und Kate ausgehen soll, bleibt unerklärlich. Ganz fad: die Liebesszenen, fast lächerlich in ihrer Mischung aus pathetischem Dialog und verklemmtem Aktionismus – die finale Bettszene. Das große Gefühlsdrama bleibt doch nur ein im Halbdunkel dümpelnder Kostümschinken. Die Kostüme, die „Orlando“-Ausstatterin Sandy Powell entworfen hat, sind erlesen, wenigstens das.

„The wings of the dove“ USA 1997, Regie: Ian Softley, mit Helena Bonham-Carter, Linus Roache, u.a. 102 Minuten, Farbe