Provinz ist bald überall

Die Deutsche Bahn bleibt im Geschwindigkeitsrausch und setzt für die Zukunft nur auf die Verbindung von Städten  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Weil immer weniger Leute mit dem Zug fahren, dünnt die Deutsche Bahn AG ihr Netz massiv aus – woraufhin noch weniger Leute mit dem Zug fahren. „Man kann das so weit treiben, bis am Schluß null Mark Verlust bei null Verkehr rauskommen“, empört sich Helmut Holzapfel, Verkehrsprofessor an der Universität Gesamthochschule Kassel. Die gestern bekanntgewordenen Pläne seien „undifferenziert und völlig unprofessionell“.

Das ICE-Unglück von Eschede hat eine Tendenz verstärkt, die es schon vorher gab: Bereits im ersten Quartal dieses Jahres mußte die DB AG einen Fahrgastschwund von 4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr vermelden. Grund dafür sind wohl zum einen die hohen und weiter steigenden Fahrpreise, aber auch das ausgedünnte Angebot, vermuten Experten.

Der Bereich Fernverkehr der DB AG setzt voll auf Hochgeschwindigkeit. Um mindestens die ICE weitgehend voll zu besetzen, wird das Interregio-, Intercity- und D-Zug-Angebot abgebaut. Schließlich muß der Fernverkehr ohne Subventionen aus der Staatskasse auskommen – und die Kosten für die Trassennutzung werden der Bahn voll in Rechnung gestellt. „Das ist weltweit einmalig“, so Hinrich Kählert vom Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Wer heute von Köln nach Marburg oder Trier reisen will, nimmt aus Zeitgründen am besten einen Hochgeschwindigkeitszug über Frankfurt, obwohl das ein Umweg ist. „Die Alternative ist, sich mühsam von Milchkanne zu Milchkanne vorzutasten“, sagt Bernhard Strowitzki, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Winfried Wolf (PDS- Gruppe). Die Rheinstrecke wird so künstlich belastet – und dort wird deshalb eine milliardenteure Neubaustrecke errichtet.

Der Nahverkehr, für den seit 1996 die Länder zuständig sind, baut dagegen stark auf die Interregio-Verbindungen. Schon mehrfach hat die Bahn AG versucht, den Ländern die Bestellung von Interregio-Zügen schmackhaft zu machen. Doch die lehnten mit dem Hinweis ab, daß sie quer durch ganz Deutschland fahren und damit Fernverkehrsverbindungen sind. Jetzt sollen die Länder vor die Alternative gestellt werden, entweder doch den Betrieb der Interregios zu finanzieren oder als Ersatz Regionalexpreß-Züge zu bestellen. 300 Millionen Mark im Jahr würde das kosten, hat der Bundestagsabgeordnete Ali Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) ausgerechnet. Das Geld würde den Ländern jedoch auf den kleineren Strecken fehlen, die schon heute mit Regionalzügen bedient werden.

„Wenn die Pläne umgesetzt werden, ist das eine Katastrophe“, sagt Ines Fröhlich, Pressesprecherin des Verkehrsministeriums in Sachsen-Anhalt. Das mühsam erarbeitete Konzept einer Flächenbahn für Sachsen-Anhalt sei dann nicht aufrechtzuerhalten. Unglaublich erscheint ihr, daß die DB AG die Pläne beschließt, ohne die Länder konsultiert zu haben. Schließlich seien die Interregios ein Teil der Geschäftsgrundlage, aufgrund der die Länder zum Teil langfristige Zugbestellungen vorgenommen haben. Auch der Sprecher des niedersächsischen Verkehrsministeriums hält eine Durchsetzung des „Streichkonzerts“ gegen die Länder für nicht vorstellbar. Sein Chef habe bereits um einen baldigen Gesprächstermin beim Bahnvorsitzenden Johannes Ludewig gebeten.

Eine Stadt wie Magdeburg wird beispielsweise zur völligen Provinz degradiert. Ab Ende September sollten hier eh nur noch 4 ICE halten. Bisher rauschten die Hochgeschwindigkeitszüge im Zweistundentakt in den Bahnhof. „Die Bahn hatte darauf hingewiesen, daß es ja noch zahlreiche IC und IR-Verbindungen gibt“, so Fröhlich. Doch davon soll nach Vorstellung der DB AG offenbar nicht mehr viel übrig bleiben. „Das erinnert fatal an die Interzonen-Züge aus DDR-Zeiten – die Wessi- Schnellfahrt Hannover bis Berlin durch die Buschgeld-Zone“, kommentiert der Parlamentarier Winfried Wolf.

Doch nicht nur beim Bahnbetrieb wird der Hochgeschwindigkeitsverkehr bevorzugt. Beim Bau von Schienen zeigt sich das gleiche Bild. Die gesetzlich vorgeschriebene Investitionsquote von 20 Prozent für den Nahverkehr wird nicht annähernd erreicht. Verkehrsexperten gehen davon aus, daß gerade einmal 5 bis 6 Prozent des Geldes für solche Trassen ausgegeben werden. Zur Begründung heißt es: Fernverkehrsstrecken nützen auch dem Nahverkehr.

Hinzu kommt, daß der Bund bei den milliardenteuren ICE-Strecken dazu übergeht, der Bahn das Geld dafür weitgehend ohne Rückzahlungsverpflichtung zu übertragen und im Gegenzug die übrigen Investitionsmittel zu kürzen. Allein für die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Erfurt und Nürnberg sollen die SteuerzahlerInnen acht Milliarden Mark aufbringen. Vor allem die 42 Tunnelkilometer machen die Sache extrem teuer.

Bei Erneuerungsinvestitionen dagegen bekommt die Bahn Darlehen oder muß die Reparatur selbst bezahlen. Vielerorts passiert deshalb gar nichts – die Nahverkehrszüge werden langsamer, verlieren Fahrgäste, und schließlich werden die Strecken stillgelegt. Jährlich verenden einige hundert Kilometer Schienenstrang aus diesem Grund.