Abschiebung in Nachthemd und Pantoffeln

■ Berlins Innensenator Schönbohm läßt über 70 bosnische Flüchtlinge bei Nacht und Nebel festnehmen und nach Sarajevo abschieben. Justiz nicht informiert

Berlin (taz) – Die Uniformierten kamen im Morgengrauen, rissen Familien aus dem Schlaf, nahmen schreiende Kleinkinder und fassungslose alte Frauen mit, führten Väter in Handschellen ab. Zeit zum Abschiednehmen und Kofferpacken blieb keine. Etliche Menschen durften sich vor ihrem Abtransport nicht einmal mehr ankleiden. Flüchtlingsrückkehr nach Bosnien in Nachthemd und Pantoffeln – Berlins Innensenator Jörg Schonbohm (CDU) hat sie mit der bisher spektakulärsten Massenabschiebung nach Sarajevo vorexerziert. 36 bosnische Flüchtlinge wurden nach ihrer überfallartigen Festnahme bereits am Donnerstag nach Sarajevo ausgeflogen. Weitere 38 BosnierInnen ließ Berlin am gestrigen Nachmittag direkt aus der Polizeizelle in die bosnische Hauptstadt transportieren, erstmals in einer eigens gecharterten Maschine.

Innerhalb von zwei Tagen haben die Berliner Behörden damit mehr Flüchtlinge nach Bosnien abgeschoben als im Verlauf des gesamten letzten Jahres. Bundesweit war die Nacht-und-Nebel-Aktion zwar nicht die erste Massenabschiebung Richtung Bosnien, wohl aber die schäbigste.

Insgesamt hatte die Berliner Ausländerbehörde über 200 Haftersuchen gegen bosnische Flüchtlinge erwirkt, um sie ohne Vorwarnung außer Landes zu fliegen. Während die Berliner Innenverwaltung davon spricht, man habe jeden Einzelfall sorgfältig geprüft, weisen Flüchtlingsorganisationen und Rechtsanwälte das Gegenteil nach: Unter den Festgenommenen seien traumatisierte Lagerinsassen gewesen, ein schwerkranker Epileptiker, den ein ärztliches Attest als behandlungsbedürftig auswies, und eine Mutter, die ihre junge Tochter allein in Berlin zurücklassen mußte. Abgeschoben wurden Familien, die längst eine Weiterwanderung nach Kanada in die Wege geleitet hatten, und auch Flüchtlinge, die längst im offiziellen Senatsprogramm für eine freiwillige Rückkehr registriert waren. Einige der zur Abschiebung Vorgesehenen ließ die Polizei denn auch später auf Intervention der Ausländerbeauftragten wieder frei.

Zu denen, die doch nicht abgeschoben wurden, gehörte Hussein D., ehemaliger Lagerinsasse aus der Republika Srpska. Seit 1992 ist er wegen der dort erlittenen körperlichen und seelischen Qualen in ärztlicher Behandlung. Nach seiner Freilassung berichtet er: Morgens um halb sechs seien bewaffnete Polizisten in das Zimmer des Wohnheims gestürmt. Die 75jährige, gehbehinderte Großmutter hätten die Beamten allein zurückgelassen, während seine Frau und er mit den drei kleinen Kindern in eine fensterlose Polizeizelle gesperrt wurden. Stundenlang hätten die Menschen dort stehend in erdrückender Enge verbracht: „Wir dachten, wir ersticken.“

Dramatische Szenen spielten sich nach dem Bekanntwerden der Massenabschiebung auch auf dem Berliner Verwaltungsgericht ab, wo verzweifelte Familien noch in letzter Sekunde Rechtsschutz für ihre Verwandten suchten. Obwohl die Berliner Abschiebeaktion langfristig vorbereitet gewesen sein muß, war das zuständige Gericht davon nicht informiert worden. „Das war das blanke Chaos hier“, kritisiert ein Richter, „etliche der Flüchtlinge hätten gar nicht abgeschoben werden dürfen. Aber weil wir nicht vorbereitet waren, sind viele einfach durch den Rost gefallen. Da war in der Kürze der Zeit nichts mehr möglich.“

Mit der spektakulären Massenabschiebung will Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) sich im Wahlkampf offenbar weiter als ausländerpolitischer Hardliner profilieren. Gleichzeitig gilt die Nacht-und-Nebel-Aktion als demonstrative Drohung an die 20.000 noch in Berlin lebenden bosnischen Flüchtlinge, die nicht von einem gerade ausgelaufenen Sonderprogramm des Berliner Senats Gebrauch gemacht haben. Maximal 9.000 Mark pro Familie war Flüchtlingen aus der Republika Srpska für die Rückkehr in Aussicht gestellt worden. Knapp 4.000 Bosnier nutzten diesen vergleichsweise großzügigen Anreiz und haben sich zum Teil schon auf den Heimweg gemacht. Auf das Zuckerbrot folgt für die Zurückgebliebenen jetzt die Peitsche: Die Massenabschiebung der letzten beiden Tage, so ließ Schönbohm über seine Sprecherin verlauten, „war keine Einzelmaßnahme“. Der Innensenator selbst: „Wir machen jetzt Druck.“ Vera Gaserow

Kommentar Seite 12