Analyse
: Zweifelhaftes Signal

■ USA und EU stoppen zugesagte Wiederaufbauhilfe für Sarajevo

Geldentzug, wenig Wiederaufbauhilfe, kaum Wirtschaftskredite, ganz selten humanitäre Spendenaktionen. Drei Jahre nach dem Friedensschluß von Dayton bleibt Bosnien ein wirtschaftlich ruiniertes Land. Da überrascht es niemanden, wenn nun die Vereinigten Staaten und die Europäische Union (EU) eine bereits zugesagte Finanzhilfe von 36 Millionen Mark einfach wieder aussetzen. Die Begründung aus Brüssel und Washington ist eine faule Ausrede: Weil die Regierung in Sarajevo ihren Zusagen nicht nachkomme, etwa 20.000 Vertriebene, meist Serben, in ihre früheren Wohnungen zurückkehren zu lassen, müsse „ein Signal“ gesetzt werden, erklärte gestern ein Sprecher des internationalen Bosnienbeauftragten Carlos Westendorp.

Natürlich stimmt es, daß Sarajevo immer mehr eine muslimische Stadt wird. Kroaten, Serben, Albaner, Juden, Ungarn, Slowaken fühlen sich fremd im ehemals multinationalen Schmelztiegel. Wer kann, verkauft seinen Besitz unter Preis und geht für immer. Das ist eine Realität, auch wenn das manche engangierten Journalisten und Menschenrechtsgruppen so nicht sehen wollen. „Was wurde etwa aus der Straße Borivoja Jeftic?“ fragt die Sarajevoer Tageszeitung Oslobodjenje. „Einst lebten hier vor allem Serben, Juden, Slowaken und Ungarn, heute ist kein einziges Haus hier mehr im Besitz seiner ehemaligen Bewohner. Ortsfremde haben alles aufgekauft, weit unter Wert – eine Schande.“

Doch wer ist schuld daran? Genau jene internationale Diplomatie, die mit ihrem Geldentzug ein „Signal“ setzen will. Weil muslimische Vertriebene nicht in ihre Heimat zurückkehren können, die serbischen Eroberer von Srebrenica, Brčko oder Prijedor diese Städte zur „muslimfreien Zone“ erklären, ähnlich wie die Kroaten West-Mostar oder Stolac für sich beanspruchen, blockieren die Behörden in Sarajevo jede Rücksiedlung von Nichtmuslimen und fördern den „sanften Rausschmiß“ (Oslobodjenje) in der Hauptstadt.

Bosniens Staatspräsident Alija Izetbegović gibt offen zu: „Erst müssen die anderen zeigen, daß sie es mit dem Rückkehrrecht für Vertriebene ernst meinen, dann ziehen auch wir nach.“ Izetbegović weiß genau, und die internationale Staatengemeinschaft nimmt es billigend in Kauf, daß Orte wie Srebrenica oder West-Mostar nie mehr multiethnisch sein werden. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Sarajevo, so schrecklich es klingt, „homogenisiert“. Europäer und Amerikaner werden immer Ausreden finden, um die Umsetzung der hochgesteckten Ziele von Dayton – ein friedliches multinationales Bosnien – nicht verwirklichen zu müssen. Man ist schon froh, daß nicht geschossen wird, die südserbische Provinz Kosovo bereitet derzeit genug Kopfzerbrechen. Karl Gersuny