Mieter gegen die Essener SPD-Oberen

In Essen will die SPD 18.000 kommunale Wohnungen verkaufen. Manche Genossen sind empört über die Arroganz der kommunalen Parteispitze. Nun wollen sich die Mieter mit einem Bürgerbegehren helfen  ■ Aus Essen Walter Jakobs

Wenn Lore Sieberg Post von ihrer Partei bekommt, dann mag sie die Briefe schon gar nicht mehr öffnen. Was ihre SPD, der sie 23 Jahre angehört, ihr da seit ein paar Monaten zumutet, macht sie wütend und traurig zugleich. Manchmal liest sie in ihrem Parteibuch nach, um sich zu vergewissern, daß „ich in der SPD bin“. Denkt sie an die Wohnungspolitik der Essener SPD-Gewaltigen, kommen der Rentnerin schon mal „die Tränen“. Inständig appellierte sie kürzlich während einer öffentlichen SPD-Veranstaltung an ihren Fraktionsvorsitzenden im Essener Rat, Willy Nowak, einzugestehen, daß „ihr Scheiße gebaut habt“.

Doch der Fraktionschef sieht dazu keinen Anlaß: „Ich meine nicht, daß wir Scheiße gemacht haben.“ Unbeeindruckt von den Protesten verteidigte Nowak die Verkaufspläne der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Allbau AG vor den aufgebrachten Mietern. Mit Hohngelächter reagierten die auf dessen Ankündigung, durch den Verkauf werde sich für die Mieter „nichts“ ändern. Letztlich, so Nowak, gehe es doch nur darum, „die reichen Töchter der Stadt an dem Haushaltsausgleich der Mutter Stadt zu beteiligen“. Um dieses Ziel zu erreichen, sei der Verkauf der 18.000 Wohnungen der Allbau AG an die städtischen Töchter Stadtwerke (80 Prozent) und Sparkasse (20 Prozent) unumgänglich. Nowak wörtlich: „Wir kriegen dadurch Geld in die Kasse.“ Rund 700 Mio. Mark soll der Verkauf für die mit 1,5 Mrd. Mark verschuldete Stadt bringen. Doch die Mieter mögen den Goldesel nicht spielen, zumal die Stadt über ein RWE-Aktienpaket in Höhe von 1,2 Mrd. Mark verfügt. Während der von der SPD beherrschte Stadtrat sich davon nicht trennen mag, hat er für den Wohnungsverkauf inzwischen grünes Licht gegeben. Um diese „dramatische Fehlentwicklung“ doch noch zu verhindern, setzen die Mieter jetzt alle Hoffnungen auf ein Bürgerbegehren.

Otto Reschke, Essener Bundestagsabgeordneter und wohnungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hofft dabei ebenso auf einen Erfolg wie die Bauexpertin der Bonner Grünen, Franziska Eichstädt-Bohlig. Beide halten den zur Zeit stattfindenden massenhaften Ausverkauf bisher sozial gebundener Immobilien für „höchst gefährlich“. Während Reschke sich darüber freut, daß die Bonner Opposition es „geschafft“ habe, den von Finanzminister Theo Waigel (CSU) geplanten Verkauf von knapp 100.000 Wohnungen zu „blockieren“, schlagen die eigenen Genossen überall im Lande zu. Dabei wird der kommunale Wohnungsbesitz sowohl über private Gesellschaften zu Geld gemacht als auch durch Verkäufe an stadtnahe Unternehmen.

Nach den Beobachtungen von Wolfgang Kiehle, Chef der Bochumer „Wohnbund Beratung“, hat sich das Verkaufstempo in den letzten Monaten „dramatisch erhöht“. Weitere Verkäufe stehen in Freiburg, Kiel und Berlin auf der Tagesordnung. Kiehle fordert daher vom neuen Bundestag „eine gesetzliche Regelung, um diesen Ausverkauf zu stoppen“.

Eine Forderung, die die beiden Bonner Bauexperten Reschke (SPD) und Eichstädt-Bohlig (Grüne) teilen. Reschke selbst wird an der Umsetzung indes nicht mitwirken können, weil ihm die eigene Parteibasis die Gefolgschaft verweigerte und einen anderen Direktkandidaten nominierte. 80 Prozent des Essener SPD-Unterbezirks stützen die Verkaufsabsichten ihrer Ratsfraktion. Politisch absurd findet das Eichstädt- Bohlig, denn „die soziale Stabilität in den Städten hängt maßgebend von der Anzahl der sozial gebundenen Wohnungen ab“. Die Grüne hofft deshalb, daß das Bürgerbegehren in der Reviermetropole durchkommt, „weil wir dringend ein solches Signal brauchen, wo Mieter sich in großer Zahl zusammenschließen, um den Verkauf zu verhindern“. Überall in Deutschland schaue man nach Essen.

Beim Bürgerbegehren selbst sind noch hohe Hürden zu überwinden. Zunächst müssen bis Ende August 48.000 Wahlberechtigte das Begehren per Unterschrift – über 30.000 sind schon beisammen – unterstützen. Erst danach sieht das Gesetz die allgemeine Volksabstimmung, den sogenannten Bürgerentscheid, vor. Wenn eine Mehrheit sich dabei gegen den Verkauf der Essener Allbau AG ausspräche, wäre der gegenteilige Ratsbeschluß hinfällig. Allerdings nur dann, wenn sich an der Abstimmung mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten.

Die SPD-Spitze um Willy Nowak versucht beharrlich, den Deal als genialen Schachzug darzustellen, der die Haushaltssanierung voranbringe, „ohne die Mietverhältnisse zu ändern“. Tatsächlich, so Nowak, bleibe der „sozial gebundene Wohnraum bestehen“, und auch die Mieter der bindungsfreien Wohnungen – etwa Zweidrittel des Bestandes – bezahlten „nichts anderes als bisher“. Daß diese Rechnung nicht aufgehen kann, glauben dagegen nicht nur die Mieter. Auch der Wohnbund- Experte Kiehle spricht von „purer Augenwischerei“. Schon die Bedienung der Zinsen für die zum Kauf notwendigen Kredite erfordere eine dramatische Steigerung der bisherigen Ertragskraft der Allbau AG – letzlich durch höhere Mieten. SPD-Fraktionsschef Nowak macht eine andere Rechnung auf. Er glaubt, daß der neue Eigentümer einen Teil des Kaufpreises durch den Verkauf von Wohnungen an die Mieter wieder reinholen werde. Die Zahlen sprechen dagegen: Von den 18.000 Mietparteien interessieren sich gerade mal 150 bis 170 für einen Kauf.