„Nigerias Zukunft hängt nicht von einem Mann ab“

■ Wole Soyinka, bekanntester Schriftsteller und Oppositionsfigur Nigerias, wendet sich gegen den Deal von UN-Generalsekretär Kofi Annan zur Freilassung des inhaftierten Politikers Moshood Abiola

Heute geht in Nigeria die einmonatige Staatstrauer zu Ende, die nach dem Tod von Militärdiktator Sani Abacha am 8. Juni ausgerufen worden war. Der neue Staatschef Abdulsalam Abubakar wird sich voraussichtlich morgen mit einer Rede an die Nation wenden und seine Pläne zur Zukunft des Landes erläutern. In Nigeria wird damit gerechnet, daß Abubakar eine Verschiebung der für den 1. August geplanten Präsidentschaftswahl ankündigt. Mit Spannung wird erwartet, ob er auch die Freilassung des inhaftierten Siegers der annullierten Präsidentschaftswahl von 1993, Moshood Abiola, ankündigt. UN- Generalsekretär Kofi Annan hatte vergangene Woche nach Gesprächen in Nigeria erklärt, Abiola werde freikommen und sei bereit, dafür seinen Anspruch auf das Präsidentenamt aufzugeben. Die nigerianische Demokratiebewegung lehnt diesen Deal ab.

taz: Vor einigen Tagen gab UN- Generalsekretär Kofi Annan bekannt, daß er eine Vereinbarung mit dem inhaftierten Moshood Abiola getroffen habe, wonach Abiola sein Mandat als gewählter Präsident abgeben wolle im Gegenzug für seine Freilassung. Was bedeutet das für Sie?

Wole Soyinka: Ich habe das selber in der Zeitung gelesen. Meiner Meinung nach bedeutet das erstens nicht, daß ein Mandatsverzicht seitens Abiolas vorliegt. Aber auch wenn er dies tun würde, kann man davon ausgehen, daß eine solche Vereinbarung unter Nötigung zustandegekommen wäre und daher für nichtig erklärt werden muß. Drittens: Ein Mandatsverzicht Abiolas hieße nicht, daß der Kampf für Demokratie in Nigeria beendet ist. Wenn es wahr ist, daß Abiola nun das Mandat des Volkes nicht mehr will, gibt es keinen Grund zur Aufregung. Die Zukunft des Landes hängt nicht von einem Mann allein ab.

Aber Abiola gilt als zentrale Figur des Kampfes für Demokratie. Würde sein Mandatsverzicht nicht als Niederlage bewertet werden?

Wir haben innerhalb der demokratischen Opposition solche Optionen bereits durchgespielt – z.B.: Was wäre, wenn Abiola in der Haft stirbt? In diesem Fall würde gemäß der Verfassung von 1990, unter der Abiola gewählt wurde, der Senatspräsident das Amt übernehmen, bis eine neue Wahl veranstaltet wird. Diesen Schritt würden wir gehen, wenn Abiola das Mandat nicht mehr will.

Es wird spekuliert, daß General Abacha im Gegenzug zu den offiziellen Angaben nicht durch Herzinfarkt starb, sondern von seiner Frau vergiftet wurde. Was meinen Sie dazu?

Ich glaube kein Wort. Maryam Abacha liebte, begehrte und mißbrauchte ihre Position als First Lady, und ich glaube nicht, daß diese machthungrige Frau, die genauso wie ihr Mann schuldbeladen ist, ihre Position freiwillig aufgeben würde. Aber ich bezweifle die mysteriösen Umstände von Abachas Tod nicht. Ich bin fest davon überzeugt, daß Abacha ermordet wurde. Wir haben Achtung vor den Menschen, die das getan haben, denn sie haben der Nation einen Dienst getan. Aber haben sie diesen Dienst erwiesen, um die Nation zu retten oder um egoistische Ziele zu verfolgen? Diese Fragen müssen in den nächsten Monaten beantwortet werden.

Meinen Sie, daß Nigeria unter den gegenwärtigen komplexen Umständen weiterbestehen kann? Man hat das Gefühl, daß Nigeria kein vereintes Land mehr ist. Immer wieder hört man aus Teilen der Bevölkerung vom Wunsch nach Auflösung des Staates.

Es gibt keine nationale Grenze der Welt, die nicht geändert werden kann. Wenn selbst in Europa die Grenzen neudefiniert werden können, warum nicht in Afrika? Aber ich habe große Angst vor dieser neuen Tendenz im Lande. Ich genieße die Vielfalt der nigerianischen Gesellschaft. Es ist wahr, daß die nationalistischen Tendenzen sogar in der demokratischen Opposition besorgniserregend zunehmen. Die Gründe sind eindeutig: Der Betrug und die Machenschaften der politischen und militärischen Cliquen; das Machtmonopol des Nordens; die unfaire Verteilung des Reichtums durch eine kleine Minderheit. Es gibt einen einzigen Weg, den Staat Nigeria vor der brutalen Auflösung zu retten: die von uns geforderte Regierung der nationalen Einheit und die souveräne Nationalkonferenz.

Seit der Machtübernahme des jetzigen Militärmachthabers Abubakar scheint sich die internationale Haltung zu Nigeria zu ändern. Man meint, Zeichen einer positiven Veränderung in Nigeria zu erkennen. Wie beurteilen Sie die neue Politik des Westens?

Die internationale Gemeinschaft will ihre vollständigen Wirtschaftsgeschäfte mit und in Nigeria wiederaufnehmen. Einige Medien versuchen jetzt sogar Abiola zu deformieren nach dem Motto „Abiola ist das Problem – wenn wir ihn zwingen, sein Mandat aufzugeben, werden wir das Problem aus dem Weg geräumt haben“. Was wissen die eigentlich von dem neuen Mann? Man schenkt ihm jetzt die volle Glaubwürdigkeit, die er bisher gar nicht beweisen konnte. Interview: Peter Donatus