■ Vorschlag
: Außenseiter des 19. Jahrhunderts: „Oscar und Lucinda“ im Kino

Beim ersten Kuß, in einem dunklen Garten, tragen Oscar und Lucinda hochgeschlossene Baumwollnachthemden. Lucinda mit ihren schönen wallenden Haaren kann das nicht entstellen, aber Oscar sieht einfach unbeschreiblich aus. Unten ragen Beine dürr wie Stecken aus dem unförmigen Gewand. Eine fest um den Oberkörper gewickelte Damenstrickjacke zeichnet den runden Rücken nach. Auf den Schultern liegt der runde, gefältelte Kragen des Nachthemds, und darüber schwebt Oscars mageres Gesichtchen – gekrönt von einem brandroten Haarschopf. Es wird ein hastiger, unbeholfener Kuß. Daß Lucinda ihm später sehnsuchtsvoll nachsieht, mag nach Oscars Beschreibung etwas überraschen. Aber Oscar ist eben groß im Scheitern, nicht im Gelingen.

„Oscar und Lucinda“ ist die Liebesgeschichte von zwei Außenseitern im 19. Jahrhundert. Lucinda, die reiche Erbin und Besitzerin einer Glashütte, verstört die australische Gesellschaft mit Pluderhosen und unabhängigem Auftreten. Oscar ist ein reiner Tor, so unverklemmt, wie es nur der Sohn eines puritanischen Pfarrers sein kann. Wenn Pudding essen schon eine Sünde ist, wie soll einer da auf noch schlimmere Gedanken kommen? Als Oscar schließlich dem Laster begegnet, kommt es daher wie ein prachtvolles Geschenk Gottes. Oscar wird ein leidenschaftlicher Spieler. Auch Lucinda liebt das Spiel. In dieser Hinsicht ist sie Oscar absolut ebenbürtig.

Die australische Regisseurin Gillian Armstrong hat „Oscar und Lucinda“ nach dem gleichnamigen Roman von Peter Carey gedreht. Schade, daß der Film so schön ist. Das Meer ist unglaublich blau, wie auch die Kleider der Mädchen. Die Katze auf dem Bett ist elegant, die chinesische Spielhölle pittoresk, die Koffer sind aus schönem Leder mit genau der richtigen Patina. Angesichts der immer wiederkehrenden Symbole des Films – Glas und Wasser – fühlt sich der Zuschauer nicht so recht aufgerufen, ihnen Bedeutung beizumessen. Warum auch? Sieht doch alles sehr hübsch aus.

Aber was für Schauspieler! Cate Blanchett ist eine wunderschöne, energische Lucinda, eigentlich zu schön für diese Rolle. Sie braucht kaum zu spielen. Der ganze Eigensinn Lucindas liegt schon fix und fertig in Blanchetts flach liegenden klaren Augen, der leicht eingedellten Nase und dem schönen Mund. Ralph Fiennes muß da entschieden mehr tun. Ein Mann, dem jedes agressive Hoppla-jetzt- komme-ich-Auftreten fremd ist, ist immer ein bißchen lächerlich. Und es sieht so aus, als hätten sich alle Beteiligten an diesem Film zusammengetan, Oscars Lächerlichkeit über jede Peinlichkeitsgrenze hinauszutreiben. Kostümbildner haben Fiennes eine Frisur verpaßt, die aussieht wie abgefressen. Die Kleider sind immer etwas zu eng und zu kurz, als wäre er schon wieder rausgewachsen. So mitleiderregend schutzlos wie Oscar sehen im Film sonst nur Frauen aus. Aber natürlich ist es vor allem Ralph Fiennes, der Oscar seine schmächtige Statur verleiht. Pausenlos zappelt er nervös hin und her, das Gesicht zuckt, die Arme schlenkern – man sieht ihm immer beim Spielen zu. Es ist lächerlich. Aber Fiennes geht immer noch weiter. Bis man Oscar restlos verfallen ist. Anja Seeliger