Ein Gesetz, das Frauen zur Klage ermutigen soll

■ Nach einer Entscheidung des EuGH können von heute an Frauen und Männer, die sich am Arbeitsplatz benachteiligt fühlen, Arbeitgeber auf unbegrenzt hohe Entschädigungen verklagen

Berlin (taz) – Ausgerechnet ein Mann hat der Rostocker Krankenschwester Silke M. vorgemacht, wie man sich Gleichberechtigung erkämpft. Der Hamburger Nils D. zog im vergangenen Jahr bis vor den Europäischen Gerichtshof, um eine Entschädigung von 11.000 Mark zu erklagen. Grund: Er hatte sich um eine Stelle als „Vertriebsassistentin“ beworben und war nicht genommen worden. Auch Silke M. hat eine Klage eingereicht, weil sie sich in Jobsachen diskriminiert fühlt. Ihre Chancen stehen gut, denn von heute an ist die deutsche Entschädigungsregelung europakonform.

Als Silke M. im April 1995 schwanger wurde, ging sie davon aus, daß sie ihre Stelle in der Rostocker Uniklinik behalten könne. Da hatte sie sich verrechnet. Im August lief ihr befristeter Arbeitsvertrag aus, die versprochene Festeinstellung wurde hinfällig. Begründung: Die ausgeschriebene Stelle sei für schwangere Arbeitnehmerinnen ungeeignet, denn im Operationssaal bestehe Infektionsgefahr.

Silke M. fühlte sich diskriminiert und klagte beim Rostocker Arbeitsgericht. Sie sei für den Job bestens qualifiziert, so ihr Argument. Schwangerschaft sei noch lange kein Grund, eine Arbeitnehmerin nicht einzustellen. Die gesetzliche Grundlage für ihre Klage liefert Paragraph 611a im zweiten Gleichberechtigungsgesetz des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Danach sind Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts unzulässig.

Frauen und Männern, die sich in der Arbeit benachteiligt fühlten, stand bislang eine Entschädigung von bis zu drei Monatsgehältern des entgangenen Jobs zu. Diese Regelung befand der Europäische Gerichtshof im April 1997 für unzureichend – ausschlaggebend war die Klage des Hamburgers Nils D. Das Diskriminierungsverbot müsse eine abschreckende Wirkung für Arbeitgeber haben, befanden die Europa-Richter.

Nach wiederholter Mahnung aus Luxemburg mußte der deutsche Gesetzgeber wohl oder übel nachziehen. Am 7. Mai segnete der Bundestag eine neue Version des Paragraphen 611a BGB ab. Von heute an ist das Gesetz rechtskräftig und soll vor allem Frauen zur Klage ermutigen. Neu ist lediglich, daß benachteiligte Arbeitnehmer unbegrenzt viel Geld einklagen können. Nach wie vor liegt die Beweislast beim Arbeitgeber, aber vor Gericht bleibt es der Klägerin überlassen, ihre Benachteiligung glaubhaft zu machen.

Indessen stehen die Chancen für die Rostocker Krankenschwester Silke M. gut. Sie kann belegen, daß sie ihre Absage wegen Schwangerschaft bekommen hat. Zwar lehnte das Rostocker Arbeitsgericht ihre Klage im April 1997 ab. Silke M. legte aber Berufung ein. Seither liegt ihr Fall beim Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, das im April dieses Jahres den Europäischen Gerichtshof um eine Vorabentscheidung gebeten hat.

Der Hamburger Anwalt Klaus Bertelsmann will für Silke M. eine Wiedereinstellung in die Uniklinik Rostock erstreiten oder eine Entschädigungssumme „von deutlich mehr als drei Monatsgehältern“, wie er zuversichtlich sagt. Silke M. ist derzeit die einzige Frau, die Klaus Bertelsmann wegen Benachteiligung am Arbeitsplatz vertritt. In 15 Jahren habe er gerademal 18 entsprechende Fälle bearbeitet, sagt der Anwalt. Dabei stünden die Chancen auf Entschädigung nicht schlecht, nicht zuletzt durch das neue Gesetz.

Diesem Gesetz gibt die Bonner Anwältin Barbara Degen jedoch die Note „ungenügend“. Sie glaubt nicht, daß künftig mehr benachteiligte Frauen vors Gericht ziehen werden. Notwendig wäre eine Verpflichtung der Arbeitgeber, ihre Auswahlentscheidungen transparenter zu gestalten, daß sich benachteiligte Frauen darauf berufen könnten.

Statt dessen wüßten die meisten Frauen noch nicht einmal von dem Recht auf Entschädigung, das nicht nur für Einstellungen, sondern auch für Beförderungen gelte, sagt Barbara Degen. Zwar seien Arbeitgeber verpflichtet, die Gleichberechtigungsgesetze im Betrieb auszuhängen. Überprüfen würde das aber niemand. Selbst wenn Frauen über ihr Klagerecht unterrichtet seien: Die Angst, sich am Arbeitsplatz unbeliebt zu machen, sei wohlbegründet, sagt Barbara Degen, „Betriebe sind eben Männervereine, wo selbstbewußte Frauen als Störfaktor empfunden werden.“ Heike Spannagel